Kolumbien ist in der Tat das Land, das die tiefsten Spuren hinterlassen hat. Das hat vielerlei Gründe. Zum einen werden wir am Ende dieser Reise in Kolumbien mehr Zeit verbracht haben, als in jedem anderen lateinamerikanischen Land. Zum anderen haben wir hier neben den unzähligen namenlosen Begegnungen des täglichen Lebens auf Busfahrten, an Fressständen, in den Bergen und auf den Plätzen dieses Landes (die umwerfende Freundlichkeit, Offenheit, Lockerheit, kurz: das Miteinander der Menschen wurde an anderer Stelle schon mehrfach als außergewöhnlich beschrieben) wahre Freundschaften geschlossen.
Mit Kolumbianern in Kontakt zu kommen ist nicht schwer. Wenn man sich verständigen kann, kommt es mehrmals täglich zu kurzen, manchmal etwas längeren Wortwechseln. Meist das gleiche. Immerhin sind wir recht offensichtlich Ausländer. Und noch dazu welche, die sich oft in Ecken des Landes herumtreiben, die nicht viele “Gringos” zu Gesicht bekommen. Deshalb sind Gespräche in erster Linie geprägt von der Neugier der Leute. Wo wir herkommen, warum wir gerade nach Kolumbien reisen, wo uns unsere Reise schon überall hingebracht hat, wo es uns am besten gefallen hat. Und manchmal auch: ob wir es uns nicht vorstellen könnten, hier zu leben. Eine Antwort darauf zu geben, ist sicherlich nicht allzu einfach, doch es wäre gelogen, an dieser Stelle zu behaupten, wir hätten uns die gleiche Frage nicht schon selbst gestellt.
Wirkliche Freundschaften zu knüpfen ist dagegen deutlich schwieriger. Nicht zuletzt deshalb, weil ja von Anfang an klar ist, dass man sich auf “Reisen” befindet und deshalb vor dem Beginn einer Freundschaft der nahende Abschied schon über allem thront. Da kann man noch so ernst behaupten, man meine es ernst, man habe vor, zurückzukommen. Oftmals ertappt man sich dabei, wie man sich und anderen etwas vormacht: viele Orte sind zwar von atemberaubender Schönheit, man kann sogar die “Zeit seines Lebens” dort verleben (auch wir haben mittlerweile mehrere “schönste Orte der Welt” gesehen und “beste Zeiten unseres Lebens” verbracht), man weiß aber zugleich, dass dies oft Dinge sind, die man einmal im Leben macht. “Once in your lifetime”. Punkt. Dreimal Machu Picchu ist irgendwie witzlos. Die Welt ist einfach voller wunderbarer Orte, die allesamt eine Reise für sich Wert sind. Es gibt Orte, von denen man im Vorhinein schon weiss, dass die einfach gut sein müssen. Orte, über die viel geschrieben, gesendet oder erzählt wird. Diese Orte nimmt man auf einer Reise gerne mit, “wenn man schonmal hier ist”. Ob Fitz Roy in Patagonien, Machu Picchu in Peru oder Cartagena in Kolumbien. Allesamt für sich gesehen wunderschöne Orte.
Als besonders prägend haben sich für uns jedoch die Stationen unserer Reise herausgestellt, die wir ganz und gar nicht “auf der Rechnung” hatten, von deren bloßer Existenz wir, geschweige denn irgendeiner unserer Reiseführer, nicht die geringste Ahnung hatten. Nun mag man es Zufall nennen oder Schicksal, aber viele, wenn nicht sogar den Großteil ebendieser Erfahrungen haben wir in Kolumbien gemacht. Da wäre die Halbinsel “La Guajira” im Nordosten des Landes an der Grenze zu Venezuela mit Punta Gallinas, dem nördlichsten Punkt des Kontinents.
Die Zeit unter den dort lebenden Wayuu-Indianern hat für uns vieles verändert. Sie hat uns gezeigt, dass mehr als alle anderen Dinge die habitualisierten gesellschaftlichen Verhaltensregeln des eigenen Kulturkreises und die wortwörtliche Kollision ebendieses Systems mit einem anderen, in sich ebenso geschlossenen, jedoch vollkommen andersartigen, dazu führt, dass Menschen das Wort “komisch” verwenden, wenn sie über Menschen urteilen, die unter ganz und gar anderen Umständen an einem anderen Ende der Welt verwurzelt sind.
“Komisch” ist in diesem Kontext nicht gerade positiv konnotiert. Warum nicht einfach mal darüber nachdenken, was man selbst für einen Eindruck hinterlassen muss? “Komisch” wäre da noch geschmeichelt. “Die Kantonesen essen alles was schwimmt, fliegt oder vier Beine hat, außer U-Booten, Flugzeugen und Tischen”, heißt ein Sprichwort. So what? Nicht schwer vorzustellen, was man in weiten Teilen der Welt von der Idee hält, verschimmelten Käse zu essen, sozusagen Milch schlecht werden lässt, sie dann absichtlich mit Schimmelsporen versieht, um sie anschließend mit einem Glaß Rotwein genüsslich zu verspeisen. Das Wort “anders” wäre oftmals wesentlich besser angebracht, wenn man über solche Menschen urteilt.
Ein weiterer dieser kostbaren Orte ist die kolumbianische Pazifikküste. Der “Chocó” hat tiefe Spuren hinterlassen. Nicht nur, dass die grau-schwarzen, mit Palmen zugewucherten Traumstrände einer der niederschlagsreichsten Orte der Welt (!) sind und sich auch aufgrund der fehlenden Straßenverbindung und einer blutigen Vergangenheit noch kaum ein Tourist dorthin verirrt. Auch nicht, weil sich vor der Küste mehrere hundert Buckelwal-Männchen ein Wettspringen um die Gunst der Weibchen liefern, während die Fischer mit aller Kraft, aber ohne Aussicht auf Erfolg, versuchen, das unvorstellbare Aufkommen an Meeresgetier zu dezimieren, während sich wenige Meter weiter landeinwärts eines der intaktesten Ökosysteme der Welt befindet. Nein, auch hier waren es vor allen Dingen die Menschen, die diesen Ort zu einem ganz besonderen haben werden lassen. Eine Gelassenheit, eine Lebensfreude und nicht zuletzt eine Offenherzigkeit, die wir zuvor nur selten erlebt hatten. Auch wenn für die Menschen dort vom Reichtum ihres Departementes nichts abfällt, ist dies ein Platz, der gesegnet ist mit natürlicher Schönheit. Wunderschönen Menschen mit schönen Herzen.
Nicht zuletzt jedoch sind es die Berge, die den Großteil unserer Reise entscheidend geprägt haben. Hier fühlen wir uns uneingeschränkt wohl, hier sind wir dem vollkommenen Glück am nächsten. Ein Ort, der uns unzählbar viele glückliche Stunden beschert hat, ist der Páramo.
Gut drei Wochen haben wir insgesamt im Nationalpark “Los Nevados” verbracht. Teils unter den Bergbauern, teils an abgelegenen Lagunen in unserem Zelt. Die extreme körperliche Erschöpfung nach zehn Stunden Wandern in 4000 Metern Höhe war dabei ebenso allzeit präsent wie die tiefe Dankbarkeit, ja fast Ehrfurcht, gegenüber der Natur.
Momente, in denen man sich verschwindend klein fühlt, in denen über allem eine allumfassende Spiritualität steht. Das sind zugleich die Momente, in denen man am empfänglichsten für neue Ideen, alternative Lebensvorstelungen und die Frage nach dem “Sinn des Lebens” ist und sich zugleich erhaben fühlt. Irgendjemand flüstert “nur Mut!, nur Mut!” Ein Leben im vollkommenem Einklang mit der Natur, den Elementen ausgesetzt, die Gedanken sind frei. Dinge, die vor viel zu langer Zeit unter den schweren Lasten von Bevölkerungswachstum, Urbanisierung, menschlichem Fortschrittsstreben und nicht zuletzt dem Streben nach materiellem Reichtum begraben wurden.
Zurück zur Natur!
Hiermit soll keinesfalls die persönliche Entscheidung eines jeden einzelnen angeprangert werden, der für seine persönliche Freiheit (bzw. das Gefühl individueller Freiheit) materiellen Reichtum für unabdingbar hält. Im Gegenteil! Es ist nur so, dass es auch anders geht, auch ohne Aussteigerleben und Hippie-Kommunen. Man muss lediglich seine persönlichen Präferenzen klar definieren. Nur manchmal dann überkommt einen das Gefühl, dass man viel zu viel Zeit damit verbringt, irgendwelchen Zielen nachzueifern, mit deren Hilfe man dann übergeordnete Ziele, die ich mal Träume nennen will, verwirklichen möchte. Nur, dass es zum Verwirklichen der Träume dann meist nicht kommt. Das eigentliche Ziel sollte es sein, seine Träume auf direktem Wege zu erfüllen oder zumindest dafür zu sorgen, dass die Träume am Leben bleiben, dass sie Luft zum Atmen bekommen und nicht einestages unbemerkt ersticken.
Die Wochen und Monate in den Bergen haben unseren Träumen gut getan. Nicht nur, dass wir uns einige von ihnen schon jetzt, in unseren jungen Jahren, erfüllen, sondern auch, dass sich neue entwickeln konnten; und das nicht nur hinsichtlich weiterer Reisen, sondern im Hinblick auf ein bewusstes Leben. Umweltbewusst. Gesundheitsbewusst. Verantwortungsbewusst. Und nicht zuletzt selbstbewusst. Wir sind froh und glücklich, dass wir viele dieser Momente mit unseren kolumbianischen Freunden Manuel und Fredy aus Manizales, aber auch mit unserem Freund Andrew in Chile oder Gwenn in Patagonien und später auch in Kolumbien teilen konnten.
Seit unserer Rückkehr aus Venezuela nach Kolumbien vor drei Wochen haben wir zunächst einige Tage in Pamplona, einer kleinen Kolonialstadt mit lebhafter Studenten-Atmosphäre verbracht, bevor wir uns dann auf den Weg nach Manizales machten, wo wir eine Woche außerhalb der Stadt im Haus unserer Freunde Fredy und Manuel verbringen durften. Viel Musik, gutes Essen, lesen, schlafen und natürlich nicht zuletzt vier Tage wandern im geliebten Páramo, bevor wir dann am 21. November den 25. Geburtstag von Elisabeth begießen konnten. Wie es sich gehört natürlich mit Lagerfeuer und nem Haufen frischer Salate. Gerade befinden wir uns nach einem Abstecher in das hollywoodreife Kolonialdörfchen Villa de Leyva wieder in Tunja, von wo aus wir in wenigen Stunden weiterreisen in Richtung El Cocuy. Dort wartet einer der spektakulärsten Teile der Anden auf uns. Acht bis zehn Tage wollen wir nochmal in die Berge, die frische Bergluft muss ja dann einige Zeit halten.
Bleibt zu hoffen, dass uns die Straßenverhältnisse keinen Strich durch die Rechnung machen, denn das Land wird momentan vom zweiten Katastrophenjahr in Folge gebeutelt. Gerade von der letzten Regenzeit erholt, stehen nun schon wieder Städte unter Wasser, fast alle Hauptstraßen des Landes sind von schweren Erdrutschen gezeichnet und es bleibt zu befürchten, dass sich dies über die nächsten Monate nicht ändern wird. Aber die Menschen sind es gewohnt, mit Rückschlägen umzugehen. Ob Guerilla, Paramilitärs oder Naturkatastrophen: die Warmherzigkeit der Kolumbianer ist unerschütterbar.
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10. Dezember 2011 at 9:45
ihr geliebten süßlinge…
wir denken so an euch…immer und immerzu…hoffen euch glücklich in den letzten tagen eurer fantastischen reise..
monnem versucht sich hübsch zu machen, heute mit blauem himmel sogar.….in einer woche sitzen wir alle zusammen am großen frühstückstisch!!
seid umarmt und geküßt…eure memo
27. November 2011 at 3:01
Tolle Eindrücke.….super .……Berichte.…-awwer:dähääm is dähääam. Ich freu mich riesig auf euch .
Happy birthday, Elli-dachte,es ist der 26.Nov,-Sorry !!!
Kann dir keine 4000er und keine schönen Kolumbianer bieten-
aber unser bescheidenes Zuhause in Monnem und einen alten Indianer von der schwäbischen Alb(der hat auch was) Hoffe, dass ihr nicht mit Grausen an die Rückehr denkt.
Ich hab euch lieb und will euch jetzt endlich wieder in die Arme nehmen.
In love und tausend kisses
margit