El Cocuy — Ein Abschied auf Zeit

Die Sier­ra Neva­da del Cocuy ist ein bedeu­ten­der Ort. Das liegt nicht nur dar­an, dass die­ser Teil der Anden über das größ­te Glet­scher­ge­biet Kolum­bi­ens ver­fügt und daher jedem natur­be­geis­ter­ten Men­schen des Lan­des ein Fun­keln in die Augen zau­bert. Es ist vor allem die Tat­sa­che, dass wir von Anfang an — also etwa seit Mai die­sen Jah­res — den Traum hat­ten, die­sen Fle­cken Erde auf unse­ren eige­nen Füßen zu erkun­den.

Güicán, Aus­gangs­ba­sis für Wan­de­run­gen im Natio­nal­parl El Cocuy

Die Aus­wir­kun­gen des ver­hee­ren­den Win­ters mit den hef­tigs­ten Regen­fäl­len in der Geschich­te des Lan­des zwan­gen uns zu Beginn noch dazu, unse­re Plä­ne zu ändern und schwe­ren Her­zens die Wan­de­rung im Natio­nal­park zu ver­schie­ben. Als wir dann kurz dar­auf beschlos­sen, unse­re Rei­se bis kurz vor Weih­nach­ten zu ver­län­gern, wuss­ten wir noch nicht, dass wir eine zwei­te Chan­ce erhal­ten soll­ten. Jedoch wäre es gelo­gen zu behaup­ten, El Cocuy wäre nicht die gan­ze Zeit über in unse­ren Köp­fen geblie­ben. Zu vie­le atem­be­rau­ben­de Fotos hat­ten wir schon gese­hen, zu vie­le Men­schen hat­ten uns von der Schön­heit der Ber­ge vor­ge­schwärmt und die Sier­ra als das ulti­ma­ti­ve Trek­king-Ziel des Lan­des ange­prie­sen. So kam es, dass wir selbst in der schwü­len Abge­schie­den­heit des perua­ni­schen Ama­zo­nas-Beckens ab und an den Gedan­ken an die glet­scher­ge­schwän­ger­ten Ber­ge der kolum­bia­ni­schen Anden nicht unter­drü­cken konn­ten.

Unser Pro­vi­ant für 10 Tage im PNN El Cocuy

Blick aud den „Agu­jo“

Nächt­li­cher Blick aus dem Zelt auf “die Nadel”

Ende Novem­ber war es nun soweit. Trotz der erneut schwe­ren Regen­fäl­le, die das gan­ze Land in Atem hal­ten, wag­ten wir die Rei­se in das Berg­dorf Güi­can, der letz­ten Sied­lung vor Beginn der Wan­de­rung. Mit unse­rer Ankunft stell­te sich strah­len­der Son­nen­schein ein, die Vor­zei­chen schie­nen güns­tig zu ste­hen. Auf­ge­regt wie klei­ne Kin­der, mit einer ordent­li­chen Por­ti­on Vor­freu­de, jedoch ein­ge­stellt auf eine Men­ge Regen und alle übri­gen Unweg­bar­kei­ten, die die für ihre har­ten Wet­ter­be­din­gun­gen berüch­tig­te Sier­ra Neva­da jeder­zeit bereit­hal­ten kann, star­te­ten wir also unse­ren Rund­weg.

Der Ritak’Uwa Blan­co zum Son­nen­auf­gang. Blick vom Berg­pass Boquerón de la Sier­ra

Nicht etwa die Tat­sa­che, neun Tage lang weit abseits jeg­li­cher Zivi­li­sa­ti­on eine abge­schie­de­ne Berg­ket­te durch schrof­fes Gelän­de zu durch­kreu­zen berei­te­te und Kopf­schmer­zen. Viel­mehr ist es die Höhe, die selbst die ambi­tio­nier­tes­ten und hart­ge­sot­tens­ten Berg­freun­de oft­mals zur Umkehr und damit zur Auf­ga­be ihres Trau­mes zwin­gen. Der Weg ver­läuft über sei­ne kom­plet­te Distanz ober­halb der 4.000-Meter-Linie. Die durch­schnitt­li­che Höhe betra­egt etwa 4.300 Meter, die Näch­te wer­den alle­samt zwi­schen 4.300 und 4.500 Metern ver­bracht, die höchs­ten der sie­ben Berg­päs­se über­schrei­ten die 4.700-Meter-Marke. In die­ser Höhe fällt das Wan­dern auch ohne sons­ti­ge tech­ni­sche Schwie­rig­kei­ten schwer. Also waren wir nur all­zu froh dar­über, dass wir den Groß­teil der ver­gan­ge­nen Mona­te in ver­gleich­ba­ren Höhen­la­gen ver­bracht hat­ten und daher mit der Akkli­ma­ti­sie­rung — sieht man von den Kopf­schmer­zen und der pha­sen­wei­sen Atem­lo­sig­keit in den ers­ten zwei Tagen ein­mal ab — kei­ne ernst­zu­neh­men­den Pro­ble­me hat­ten.

Unser Zelt­platz am Fuße des Ritak’Uwa

Blick vom Zelt auf das Berg­mas­siv

Der Rund­weg ist nor­ma­ler­wei­se in sechs Tagen zu bewa­el­ti­gen. Da wir jedoch von vorn­her­ein wuss­ten, dass dies unse­re letz­te gro­ße Wan­de­rung auf die­ser Rei­se wer­den soll­te, stand für uns von Anfang an der Genuss an ers­ter Stel­le. Dar­über hin­aus lagen wir mit der Annah­me, dass es viel reg­nen wür­de, rich­tig. So stan­den wir jeden Mor­gen um 5.30 Uhr auf, genos­sen ca. zwei Stun­den blau­en Him­mel und Son­nen­schein, bevor die Wol­ken auf­ka­men und wei­te Tei­le der Sier­ra für den guten Teil des Tages in (Regen-)Wolken und Nebel hüll­ten. Erst ab spä­ten Nach­mit­tag konn­te auf  eine Bes­se­rung der Ver­hält­nis­se gehofft wer­den. So kam es, dass wir neben viel Zeit in den Ber­gen eben auch viel Zeit im Zelt ver­brach­ten.

Mor­gens um 6:00 Uhr zum Son­nen­auf­gang

…fan­tas­ti­sches Licht für eini­ge Momen­te, bevor der Nebel wie­der auf­steigt

Da wir jedoch viel zu fei­ern hat­ten, konn­ten wir dem­ge­gen­über recht gelas­sen blei­ben. Zum einen waren wir ja schliess­lich genau an dem Ort, den wir uns seit lan­ger Zeit erträumt hat­ten, zum ande­ren ver­brach­ten wir unse­re 100. (!!!) Nacht im Zelt. Fast ein Drit­tel unse­rer Näch­te auf die­ser lan­gen Rei­se haben wir damit in unse­ren eige­nen “Vier Wän­den” ver­bracht. Nicht nur für uns, son­dern auch für unser Zelt eine stol­ze Leis­tung. Allei­ne in den Ber­gen, bepackt nur mit dem Not­wen­digs­ten und unse­rem Häus­chen haben wir uns stets am wohls­ten gefühlt. Eine gemein­sam ent­deck­te und ent­wi­ckel­te Lei­den­schaft, die — so sind wir uns sicher — noch sehr lan­ge Bestand haben wird.

Auf dem höchs­ten Punkt des Paso El Rincón

Die neun Tage in der Sier­ra Neva­da del Cocuy blei­ben nicht nur der beson­de­ren Umstän­de wegen in Erin­ne­rung. Es han­delt sich schlicht­weg um eine der spek­ta­ku­lärs­ten — wenn nicht gar DIE spek­ta­ku­lärs­te  — Berg­land­schaf­ten des Kon­ti­nents. Am letz­ten Tag erst haben sich unse­re Wege mit denen ande­rer Wan­de­rer gekreuzt. Die übri­ge Zeit hat­ten wir die ein­zig­ar­ti­ge Sze­ne­rie ganz allei­ne für uns und kamen aus dem Stau­nen oft nicht mehr hin­aus. El Cocuy ist eine Rei­se wert; eine zeit­na­he jedoch, denn die Glet­scher befin­den sich wie fast über­all auf der Welt auf dem Rück­zug. So dra­ma­tisch wie hier sind die Fol­gen des Kli­ma­wan­dels jedoch an kaum einem ande­ren Ort zu spü­ren. 18 Glet­scher auf einer Län­ge von ledig­lich 30 km sind beacht­lich — das größ­te Glet­scher­ge­biet Süd­ame­ri­kas nörd­lich von Ecua­dor. Kli­ma­for­scher rech­nen der­zeit jedoch damit, dass die Kor­dil­le­re schon in 15 Jah­ren kom­plett schnee- und eis­frei sein wird. Trau­ri­ge Aus­sich­ten! Wer die­sen atem­be­rau­ben­den Fle­cken Erde noch in sei­ner jet­zi­gen Form bestau­nen möch­te, soll­te sich beei­len — es lohnt sich!

An der Lagu­na del Pañue­lo – im Hin­te­grund der Paso El Rincón

Momen­tan befin­den wir uns nun wie­der in Bogo­tá, unse­rer ers­ten sowie auch letz­ten Sta­ti­on in Kolum­bi­en. Wir genie­ßen die letz­ten Tage, obwohl der nahen­de Abschied natür­lich unwill­kür­lich sei­ne Schat­ten zieht. Unse­re Zeit hier ist bald abge­lau­fen — der Zustand unse­rer zu Beginn der Rei­se neu gekauf­ten und mitt­ler­wei­le ent­sorg­ten Wan­der­schu­he könn­te kein pas­sen­de­res Sym­bol dar­stel­len.

Abge­lau­fen!

Ein letz­ter Blog-Ein­trag nach einem gan­zen Jahr in Süd­ame­ri­ka ist eigent­lich dazu prä­de­sti­niert, sen­ti­men­tal zu wer­den. Sicher­lich gäbe es tau­sen­de ver­schie­de­ne Grün­de zu nen­nen, war­um uns momen­tan etwas mul­mig ums Herz wird. Genau­so könn­ten an die­ser Stel­le unzäh­li­ge Rei­se­er­fah­run­gen reflek­tiert wer­den. Nur: all das gehört nicht an die­se Stel­le. All das ist in uns und all das bleibt in uns. Die Erfah­run­gen hier haben tie­fe Spu­ren hin­ter­las­sen. In wel­cher Art uns Wei­se sie uns ver­än­dert haben, kön­nen wir selbst nicht beur­tei­len. Wir sind über alle Maßen dank­bar für die Zeit, die wir hier ver­brin­gen durf­ten, für die Men­schen, die wir mitt­ler­wei­le Freun­de nen­nen und für all die neu­en Ide­en, mit denen wir nun die Rück­rei­se antre­ten.

Son­nen­auf­gang an der Lagu­na de la Pla­za

Der Gebirgs­see gilt als einer der schöns­ten des gesam­ten Kon­ti­nents

Hier ver­brach­ten wir unse­re 100. Nacht im Zelt

Es gibt sehr vie­le Din­ge auf­zu­ar­bei­ten, nach­zu­er­le­ben und nach­zu­füh­len. Es hat sich eini­ges ver­än­dert — gera­de durch die Zeit in Kolum­bi­en. Unse­re Lie­be für und Dank­bar­keit gegen­über die­sem Land und sei­nen wun­der­ba­ren Men­schen kann man schlecht in Wor­te fas­sen. Viel­leicht genügt es zu sagen, dass wir uns unter Men­schen noch in kei­nem ande­ren Land — unser eige­nes ein­ge­schlos­sen — so wohl gefühlt haben, wie hier.

Wir kom­men wie­der!

Ein letz­ter Blick zurück

1 Comment

  1. Ing Marco Julio Angarita Noguera

    2. Februar 2012 at 19:27

    Salu­dos Felix y Eli­sa­beth!
    Me agra­da saber que su via­je pos nues­tra tier­ra fue bue­no. Que her­mo­sas foto­gra­fi­as!! No habia podi­do leer su cro­ni­ca sob­re el via­je a la Sier­ra, pero me ale­gra que lo hay­an dis­fru­ta­do. Espe­ro reg­re­sen algu­na vez. Un abra­zo .Inge­nie­ro Mar­co Anga­ri­ta. El Cocuy, Boya­ca, Colom­bia South Ame­ri­ca.

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