Hallo ihr Lieben,
nachdem wir nun schon längere Zeit untergetaucht sind, möchten wir hiermit mal wieder ein Lebenszeichen von uns geben. Es geht uns gut. Es geht uns sogar sehr gut. Und wir werden selbstverständlich dafür sorgen, dass euch nichts von alledem, was uns in den letzten Wochen und mittlerweile Monaten widerfahren ist, vorenthalten bleibt. Es ist schlicht so, dass wir im Moment nicht dazu kommen, das Versäumte nachzuholen. Warum? Das Wetter ist einfach unerwarteterweise verdammt gut, die Menschen umwerfend freundlich, das Essen für lateinamerikanische Verhältnisse lecker und die Landschaften schlicht und einfach spektakulär!
Die fehlenden Fotos und Berichte wollen wir in den kommenden Wochen trotzdem schrittweise nachreichen.
Momentan befinden wir uns in Manizales, einer Großstadt im Herzen der Eje Cafetero, also der Kaffeeregion, die sich im Dreieck zwischen Bogota, Medellin und Cali befindet. GRÜN ist wohl die treffendste Beschreibung dieser einzigartigen Region. Grasgrüne Schluchten ragen gen Himmel, während sich Kaffeeplantagen, Nebelwälder und riesige Quindio-Wachspalmen einen Kampf um jeden Zentimeter der steilen Abhänge liefern und mit den Wolken Verstecken spielen.
Nachdem wir anfangs doch mit der Umstellung auf die neue Umgebung zu kämpfen hatten, sind wir mittlerweile Feuer und Flamme. Der Tourismus steckt hier noch in seinen Kinderschuhen, was ein Segen für die vergleichsweise wenigen Gringos ist, die sich hierher verirren. Die Menschen sind umwerfend freundlich, hilfsbereit und interessiert. Ein guter Teil des Landes ist mittlerweile wieder in der Hand des Militärs, die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) sowie die Paramilitärs bekämpfen sich in schwer zugänglichen Regionen (meist) außerhalb der touristischen Gebiete. Sicher fühlen wir uns daher bislang zu jeder Zeit. Einer der Gründe dafür ist sicher die unfassbare Präsenz von Militär und Polizei innerhalb der Städte und Dörfer und entlang der Hauptverkehrsstraßen.
Die Statistiken dagegen sprechen eine andere Sprache: obwohl das Land innerhalb der letzten fünf bis sieben Jahre merklich “sicherer” geworden ist, hat sich der Konflikt lediglich in die Peripherie verlagert. Tief im Dschungel des Amazonas und hoch in den Bergen der Anden wird die Auseinandersetzung aber mit umgebremster Härte weitergeführt. Die politische Ideologie ist schon längst dem Kampf um die Vorherrschaft im lukrativen Drogengeschäft gewichen. Die finanzielle Unterstützung in Billionenhöhe seitens der USA im Anti-Drogen-Kampf verpufft nahezu wirkungslos. Seit 2004 stieg die Produktion kolumbianischen Kokains um geschätzte 20 Prozent. Und diesem schmutzigen Geschäft fällt vor allem die arme Landbevölkerung zum Opfer: nach dem Sudan ist Kolumbien (man glaubt es kaum) das Land mit den weltweit meisten Binnenflüchtlingen. “Desterrados” oder “Desplazados” — Menschen, die aus ihrem rechtmäßig angestammten Lebensraum gewaltsam vertrieben werden, weil sie zufällig zwischen die Fronten geraten oder über fruchtbaren Boden zum Coca-Anbau verfügen. Diese Menschen landen (oft nachdem mindestens ein Familienmitglied verstümmelt oder ermordet wurde) in den Armenvierteln der Großstädte. Dort werden sie nicht selten drogenabhängig, kriminell und hausen unter Plastikplanen auf den Bordsteinen der Metropolen. 180 Menschen jeden Tag. Die Tatsache, dass Kolumbien nach Kambodscha und Afghanistan das Land mit den weltweit meisten Landminen ist, ist im alltäglichen Straßenbild nur zu offensichtlich…
Gerade kommen wir zurück aus dem Parque Nacional Natural Los Nevados. Ein wunderbarer Flecken Erde. Der Páramo, eine einzigartige Vegetationsform der Anden oberhalb von 4000 Metern, ist definitiv einer der schönsten Orte, die wir bisher erleben durften. Sieben Tage lang wurden wir von drei Kolumbianern begleitet und konnten so Einblicke in die Lebensweise der Bauern abseits der Zivilisation gewinnen. Abgeschieden leben sie auf (mittlerweile illegalen weil innerhalb des Nationalparks gelegenen) Höfen in großen Familienclans. Jedoch war auch hier die Schattenseite des Landes greifbar und trat uns in der Person zweier Bauern — den Gebrüdern Pedro und Andres Machete — gegenüber: in den 1990er Jahren wurde deren Vater hier oben im vermeintlichen Niemandsland von Guerillas getötet, ganau so wie die schwangere Frau eines Arbeiters, den wir ebenfalls kennenlernen durften. Ein Land voller drastischer Gegensätze, die unsere Sinne voll und ganz in Anspruch nehmen.
Das andere, das sichtbare Kolumbien, ist an Vielfältigkeit kaum zu überbieten. Obwohl viel kleiner als sein großer Nachbar ist Kolumbien nach Brasilien weltweit das Land mit der höchsten Biodiversität. Zehn Prozent der weltweit vorkommenden Pflanzen- und Tierarten sind in den Wäldern des Landes vertreten. Eine Zahl, die selbstverständlich nur sehr schwer vorstellbar ist. Sobald man jedoch in die Wälder eintaucht, versteht man, was dies bedeutet: Tucane, Papageien, Paradiesvögel, Schmetterlinge, Schlangen, Affen, Tapire…selbst für uns als “Ahnungslose” stellt sich die Frage, wo — wenn nicht hier — das Paradies auf Erden zu finden sein soll.
Es ist wahrlich nicht schwer, sich in dieses Land und seine Menschen zu verlieben. Eine einzige Busfahrt rechtfertigt eine Reise hierher. Die Erfahrung ist — wie der gemeine “Ami” sagen würde — “mind-blowing” . Oder auch einfach: umwerfend, atemberaubend, grandios. Da wir ja noch eine ganze Weile auf diesem Kontinent verbringen dürfen, ist es höchst wahrscheinlich, dass wir hier noch einige Wochen verbringen werden. Wir befinden uns sozusagen auf einer großen Schleife durch das Land. Für diejenigen, die gerne “googeln” oder sonstwie unsere Reiseroute nachverfolgen möchten, seien hier in aller Kuerze die bisherigen Etappen aufgefuehrt:
Bogotá — Salento (Valle Cocora) — Medellín — Guatapé — Doradal (Rio Claro) — San Gil (Parque Nacional Chicamocha) — Barichara & Guane — Santa Marta — Riohacha — La Guajira (Cabo de la Vela & Punta Gallinas) — Cartagena — Turbo — Capurganá & Sapzurro (Darién Gap an der Grenze zu Panama) — Santa Fe de Antioquia — Manizales (Parque Nacional Natural Los Nevados)
Gerade sind wir hier in Manizales und sind in freudiger Erwartung ob der Ankunft eines gewissen Gwenn Boulin. Wie der zu seinem Namen gekommen ist, weiß kein Mensch, aber er behauptet steif und fest, Franzose zu sein ;). Wie dem auch sei: wir haben das Glück, uns noch einmal auf dieser Reise treffen zu dürfen, nachdem wir ja bereits im Januar/Februar gemeinsam in Patagonien unterwegs waren.
Wir verbleiben mit besten Grüßen und versuchen, euch von nun an wieder häufiger auf dem Laufenden zu halten. Sollte das wieder misslingen, dann wisst ihr ja, wer die Schuld trägt: ein wunderbares Land mit wunderbarem Wetter und noch viel wunderbareren Menschen!
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