So, jetzt ist es endlich mal wieder soweit: wir leben also doch noch! Momentan sind wir noch in Puerto Natales im chilenischen Teil des südlichen Patagoniens. Die letzten zwei Wochen haben wir im nahegelegenen Nationalpark Torres del Paine verbracht und möchten jetzt die Gelegenheit nutzen, von unseren Erfahrungen des letzten Monats zu berichten.
Nachdem wir uns also nach einer grandiosen gemeinsamen ersten Woche von Buenos Aires und somit auch von Gwenn getrennt hatten, wollten wir ja eigentlich wie angekündigt per Anhalter Richtung Punta del Diablo in Uruguay reisen und dort einige Tage verbringen. Das Kapitel war für uns jedoch nach fünf Tagen schon wieder beendet. Zum einen waren wir beide erkältet und somit auch nicht in der Stimmung, uns die Füße am Rande der Straße platt zu stehen und zum anderen stellte sich die touristische Hochsaison nicht nur für unsere Geldbeutel als überaus unlustig dar: alle Hostels überfuellt, Preise verdoppelt. Alles in allem genau so, wie man es eigentlich nicht will.
Nach einem schönen ersten Tag im idyllischen Colonia del Sacramento ging es weiter nach Montevideo. Komische Stadt. Obwohl ca. 2 der 3,5 Millionen Uruguayos dort leben, fühlten wir uns wie in einem öden Provinzkaff irgendwo im Niemandsland. Vielleicht in Niedersachsen oder so. Wie auch immer: wie sich herausstellte, flüchtet wer kann in der Ferienzeit zwischen Januar und Februar an den Strand. Dementsprechend sind dann auch die meisten Läden geschlossen und wer in der Stadt bleibt ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am Hafen beim nachmittäglichen Angeln anzutreffen. Jeder Tag fühlt sich wie Sonntagnachmittag an. Pärchen, Familien, die Fußballkumpels und die älteren Herrschaften, die sonst den ganzen Tag teetrinkend und rauchend auf der Plaza Schach spielen, packen ihre Angelutensilien ein und strömen an die Wasserfront. Jeden Tag. Von morgens bis abends. Einzige Nahrung: Matetee. Überhaupt ist es schwer, jemanden zu entdecken, der nicht eine Thermoskanne unter den Arm geklemmt an einem Metall-Strohhalm, der Bombilla, genüsslich seinen Tee schlürft. Alles in allem also bleiben uns die Uruguayos als überaus entspanntes Völkchen in Erinnerung.
Und trotzdem: dafuer, dass eigentlich nicht viel zu tun ist, ist alles sackteuer. Also entschieden wir uns gegen die Weiterreise und für ein paar Tage Erholung in Carmelo, also wieder nahe der Grenze zum geliebten Argentinien. In Carmelo wurden wir dann auch schnell fündig und verbrachten zwei Nächte im Zelt direkt am Strand und nahmen anschließend die Fähre nach Tigre, Buenos Aires. Vermutlich hätten wir ein ganz und gar anderes Bild dieses Landes, wenn wir nicht genau in die Hochsaison gerutscht wären. Naja, ein andermal vielleicht. Somit konnten wir auch deine so vielversprechenden Tipps, lieber Kristian, nicht verfolgen. Wir hoffen allerdings, dass das nur aufgeschoben ist…one day, day will come…Jazz, Jazz, Jazz…
Noch am gleichen Tag ging es für uns weiter und somit eigentlich erst richtig los: die langersehnte Reise gen Süden stand nun bevor. Und für den langen Weg nach Patagonien wollten wir uns viel Zeit nehmen, Land und Leute richtig kennen lernen. Erster Halt Viedma. Eine unspektakuläre Kleinstadt, die in den Reiseführern wenn überhaupt nur am Rande und aufgrund ihres pittoresken, winzigen Altstadtkerns auf der anderen Seite des Flussufers erwähnt wird. Wir hatten dort eine wunderbare Zeit! Eine Stadt, in der Menschen tatsächlich leben und arbeiten. Und zwar nicht, und das ist der entscheidende Unterschied, von und für den Tourismus. Richtig nette Menschen. Und interessante Gespräche. Ein Ort, an dem es sich richtig gut aushalten lässt.
Die eigentliche Reise sollte dann auch von hieraus beginnen. Gut erholt und endlich genesen von diversen Wehwehchen wie Hitzestich, Sonnenbrand und Schnupfen (pfui Teufel, welch abscheuliche Mischung) machten wir uns auf den Weg zur nahegelegenen Tankstelle und versuchten unser Glück von nun an “con el gordo”, also mit dem Daumen. Wir hatten uns vorgenommen, die 2000 km in den Süden per Anhalter zurückzulegen. Wie sich herausstellen sollte, bedeutete das ein großes Glück für uns. Noch auf dem Weg zur Tankstelle hielten Marie und Jorge, ein unglaublich nettes und herzliches Ehepaar aus Viedma, neben uns an und zwangen uns förmlich in ihr Auto. Sie waren auf dem Weg zu ihrer Tochter, die im 200 km entfernten San Antonio lebt und bescherten uns eine so nicht erträumte “Jungfernfahrt”. Der Anfang war gemacht und nach kurzer Wartezeit hielt der erste 40-Tonner am Straßenrand für uns an und Gonzalo, ein 34-jähriger Familienvater von fünf Kindern packte uns samt unserer Rucksäcke in seine Fahrerkabine. Am Ende verbrachten wir 13 Stunden gemeinsam und landeten 800 km weiter südlich in Caleta Olivia. Eine unglaubliche Fahrt. Endlose Gespräche über Gott und die Welt, dazwischen immer wieder Mate, Mate, Mate. Mate on the road. Frisch zubereitet in der mobilen Teeküche in der Fahrerkabine: Gasflasche aufgedreht, angeheizt und, in der linken Hand ein Handy, in der rechten den Teekessel, ein Auge auf die Straße gerichtet, das andere auf den CD-Player, immer grade aus durch die patagonische Steppe. Einzige Abwechslung bieten hin und wieder Nandus, Guanakos und Zorros, kleine Steppenfüchse. Wir sprechen über den schlechten Ruf der Porteños, die Schmach der letzten Fussball-WM (ein wirklich heikles Thema, das man eigentlich niemals anschneiden sollte; wieder was gelernt…), unsere Familien, kulturelle Unterschiede, Politik und vieles mehr. Eigentlich könnte es immer so weitergehen. Wunderbarer Sonnenuntergang, danach greller Mondschein und immer wieder kurze Streckenabschnitte, die wir ohne Scheinwerfer unterwegs sind. Schlicht und einfach weil das Mondlicht genügt und uns sowieso maximal fünf Fahrzeuge pro Stunde entgegenkommen. Welch wunderbare Fahrt, welch wunderbarer Mensch! Und alles mit einer Selbstverständlichkeit, die uns nach wie vor beeindruckt: es müssen nicht viele Worte verloren werden, es wird schlicht und einfach alles geteilt. Man trinkt von Anfang an aus einer Flasche, benutzt den gleichen Matebecher, belegt immer für den anderen ein Brot mehr und kann sowieso über alles reden. Nach dem Ende der Fahrt sind wir wie benebelt. Euphorisiert und tief beeindruckt ob dieser Offenheit, Gastfreundlichkeit. Ein Mensch, mit dem man zwar nur einen halben Tag verbracht hat, der, so schnell wie er auftaucht auf Nimmerwiedersehen wieder im Morgengrauen verschwunden ist und dem man trotzdem so viel zu verdanken hat. Auch wenn sich zwei Leben nur kurz kreuzen, so besitzen diese kurzfristigen Verbindungen doch eine ungeheure Stärke. Sie sind nicht nur ungeheuer wertvoll für den eigenen Horizont, sondern besitzen tatsächlich die Kraft, scheinbar gefestigte Meinungen und Einstellungen nachhaltig zu verändern und entpuppen diese oftmals schlicht als festgefahren und überdenkenswert. Sie stellen einiges in Frage, können jedoch auch gleichzeitig Antworten liefern. Deshalb sind sie wahrhaftig wertvoll.
In Caleta Olivia, das ausschleißlich aufgrund des dortigen Ölvorkommens und dessen industrieller Förderung existiert, verbrachten wir drei schöne Tage. Wiederum eine “echte” Stadt. Äußerst interessante, (heraus)fordernde Gespräche mit dem äusserst konservativen Besitzer unserer “Hospedaje Faro”. Eine einladende Strandpromenade und eine Wanderung hin zu einer Seelöwen-Kolonie durch eine mit Ölförderungsanlagen “geschmückte”, karge, wüstenartige Landschaft, die stark an den Film “No Country for Old Men” erinnert, hinterließen bei uns einen bleibenden Eindruck.
Von dort führte uns die Reise weiter von Tankstelle zu Tankstelle entlang der Ruta Nacional 3. Immer weiter Richtung Süden. Über Fitz Roy und Tres Cerros schliesslich nach San Julián. Stets in LKWs, durch die sich scheinbar nicht veränderne, schier endlose Weite der argentinischen Steppe, die doch gerade deswegen eine unglaubliche Faszination ausübt. Diese Weite schafft viel Platz. Platz zum Denken, Platz zum Nicht-Denken, zum “Sich-Leeren”, sie schafft Platz, sich von Tagträumen entführen zu lassen, sich seinen Träumen zu öffnen. Diese Weite lässt einem fasst keine andere Wahl. Eine faszinierend inspirierende Kargheit. Tausende Kilometer lang kein einziger Baum, kein einziges Haus, keine einzige Kurve. Immer geradeaus. Immer dem Sonnenuntergang entgegen. Eine Schönheit, die nicht in Worte zu fassen ist. Eine Schönheit, die bis ins Mark vordringt, die Seele streichelt, die einem Mut zuspricht und zu jeder Zeit von innen wärmt. Gleich den Gesprächen bei Mate im Führerhaus…
13. März 2011 at 10:23
Es ist wirklich toll, was ihr beschreibt und wie ihr es beschreibt! Es kommen einem tatsächlich bilder vor das innere Auge..Es macht viel Spaß eure Reiseeindrücke zu lesen.…da schlummern direkt schriftstellerische Talente!°
Hier sind jetzt die ersten Frühlingsboten schon am Verblühen und wir freuen uns auf Sonnenschein.
Den wünsche ich euch auch für eure Reise und eure Herzen.
Gabi und Gerhard
27. Februar 2011 at 16:30
Love it!!!!!
12. Februar 2011 at 18:55
Die Beschreibung eurer Eindrücke und Gefühle sind zum Heulen schön.Ja wirklich ! Das Lesen ist wie einen guten Film sehen. Und ihr dürft mitten im Film sein.Weiterhin beseelte Zeiten und ich freue mich tierisch, wenn ihr mich wieder an ihnen etwas
teilhaben lasst.
Schnief.….drück.…..knutsch
Margit
12. Februar 2011 at 16:56
Es ist so schön von euch zu hören!!! Ich wünsche euch noch eine wunderbare Zeit — seid herzlichst gedrückt!