1. Akt: Ankommen

San Mar­cos Sier­ras, Argen­ti­ni­en. Ankom­men. Das bedeu­tet in ers­ter Linie, sich wohl zu füh­len. Wohl zu füh­len in einem Land, das man nur ober­fläch­lich kennt, unter Leu­ten, deren Leben – zumin­dest geo­gra­fisch – sehr weit von­ein­an­der ent­fernt sind. Und es bedeu­tet, sich und sei­ne Liebs­ten noch bes­ser ken­nen zu ler­nen. Mit dem vor lan­ger Zeit gefass­ten Ent­schluss, gemein­sam auf eine lan­ge Rei­se zu gehen, geht viel Unge­wiss­heit ein­her. Wir haben den uns ver­trau­ten All­tag bewusst auf­ge­ge­ben. Das war nicht ein­fach, aber doch alter­na­tiv­los. Abschied neh­men tut weh. Und auf eine wun­der­sa­me Wei­se auch gut, denn der Abschieds­schmerz ist zugleich Zeug­nis und Aus­druck der Bedeu­tung der Men­schen, die einem nahe ste­hen. Von nun an also suchen wir einen neu­en, einen Rei­se­all­tag. Die letz­ten Tage und Wochen vor Beginn die­ses neu­en Abschnitts waren auf­rei­bend und wir alle haben das Bedürf­nis, uns nun alle Zeit der Welt zu neh­men, zur Ruhe zu kom­men und Zeit mit­ein­an­der zu ver­brin­gen.


Die ers­ten Tage gön­nen wir uns ein klei­nes Apart­ment in Bue­nos Aires. Zum Ankom­men. Ne klei­ne Höh­le bau­en. So zumin­dest der Plan. Trotz­dem will das mit dem Ankom­men nicht so rich­tig klap­pen. Irgend­wie sind wir an unter­schied­li­chen Enden. Für Eli­sa­beth ist es nach ihrem drei­mo­na­ti­gen Auf­ent­halt Ende 2010 wie eine Heim­kehr, ich füh­le mich dage­gen voll­kom­men ver­lo­ren in die­ser Mega­ci­ty. Die eige­ne Küche stellt sich den­noch als ein wah­rer Segen her­aus. Der argen­ti­ni­sche Peso ist auf Tal­fahrt, die Infla­ti­on auf Höhen­flug. Die Prei­se im Super­markt sind höher als in Deutsch­land, trotz­dem bekom­men wir am Auto­ma­ten maxi­mal 90 Euro pro Tag und zah­len sat­te sie­ben Euro Gebüh­ren. Hat­te selt­sa­mer­wei­se ver­ges­sen, wie unbe­re­chen­bar Argen­ti­ni­en ist und schon immer war. Als wir uns dazu ent­schlie­ßen, uns einen ande­ren, klei­ne­ren Ort zum Ankom­men zu suchen, bekom­men wir kein Geld. Monats­en­de, fast alle Geld­au­to­ma­ten außer Betrieb. An sich sehr über­schau­ba­re Pro­ble­me, die mir jedoch zuse­hends aufs Gemüt schla­gen. Zwi­schen­durch ver­flu­che ich ganz Argen­ti­ni­en und sehe die sofor­ti­ge Aus­rei­se als ein­zi­gen Aus­weg.

Das Töch­ter­lein nimmt alles ziem­lich gelas­sen hin. Schon am Flug­ha­fen in Lon­don hat­te sie am Gate laut­hals „Boh­nes Aires“ gesun­gen und ver­kün­det, von nun an wer­de sie Spa­nisch spre­chen. Aber auch ihr ist anzu­mer­ken, dass 14 Mil­lio­nen Men­schen für den Anfang ein­fach ein paar zu vie­le sind. Also beschlie­ßen wir, uns auf den Weg raus aus der Stadt zu machen. Nur wohin? Ich erin­ne­re mich an unse­ren Freund Kris­ti­an, der mir mal von San Mar­cos Sier­ras berich­tet hat, einem Dorf mit „mäch­tig guten Vibes ent­lang des Flus­ses“. Ist aller­dings auch schon acht Jah­re her. Trotz­dem: wir ver­trau­en den Vibes.

13 Stun­den Bus­fahrt. Auch das hat­te ich ver­drängt. Läuft aber alles rund und wir sind guter Din­ge, dass Johan­na auch län­ge­re Nacht­fahr­ten im LKW meis­tern wird, wenn wir uns in ein paar Wochen auf den wei­ten Weg Rich­tung Pata­go­ni­en machen.

Als wir um die Mit­tags­zeit in der glei­ßen­den Son­ne aus­ge­setzt und umge­hend vom Staub der unasphal­tier­ten Stra­ßen ein­ge­hüllt wer­den, ahnen wir, dass wir uns hier auf wüs­ten­ar­ti­ges Kli­ma gefasst machen müs­sen. Wir befin­den uns am Ende des Win­ters, also mit­ten in der tro­ckens­ten Jah­res­zeit. Tags­über ist es frisch, nachts eisig kalt. Also genau das Gegen­teil von Haupt­sai­son. In der Tat schei­nen wir hier die ein­zi­gen Besu­cher zu sein. Hos­tels, Cam­ping­plät­ze, Cabañas: alles dicht. Noch so eine Sache, die sich unse­rer bei­der Erin­ne­rung ent­zo­gen hat: Sies­ta. Zwi­schen 14 und 18.30 Uhr soll­te man hier nicht mal dran den­ken, irgend­was zu machen. Geschwei­ge denn, etwas gemacht zu bekom­men. Descan­sar un poqui­to. All unse­re Ver­su­che, eine Blei­be zu fin­den, blei­ben erfolg­los. Also ver­brin­gen wir geschla­ge­ne drei Stun­den auf der Pla­za und fra­gen uns, was mit den Vibes gesche­hen sein mag. Der Fluss führt noch nicht ein­mal Was­ser. Die toten Fische ver­brei­ten eher so mit­tel­mä­ßi­ge Vibes.

Selt­sa­mer­wei­se aber macht sich das War­ten mal wie­der bezahlt. Wir wer­den auf dem Spiel­platz ange­spro­chen. 15 Minu­ten außer­halb des Dor­fes gebe es einen Ort, an dem wir blei­ben könn­ten. Und mit einem mal ist es da: die­ses Gefühl. Die Leich­tig­keit. Als ers­tes geht einem das Gefühl für Zeit abhan­den. Das ist ein Segen. Was der Tag brin­gen wird, ent­schei­det das Wet­ter. Wir sind am Ende des Win­ters und wenn sich die Son­ne nicht zeigt, bleibt man am bes­ten im Haus. Alles hier scheint noch im Win­ter­schlaf. Und das ist so genau rich­tig für uns. Wir ver­brin­gen viel Zeit gemein­sam mit den Leu­ten, die hier woh­nen. Trin­ken Mate, kochen, arbei­ten gemein­sam. Selbst Magen-Darm haben wir uns mitt­ler­wei­le schon geteilt. Wir leben mit Pas­tor, Mar­tín, Tati, Móni­ca und Mario. Alles Argen­ti­ni­er, die auf der Suche nach Ruhe und einem bewuss­ten Leben von der Stadt aufs Land gezo­gen sind. Vor dem Haus gibt es einen rie­si­gen Per­ma­kul­tur­gar­ten, unser Zelt steht fünf Minu­ten ent­fernt irgend­wo im Wald. Mor­gens wer­den wir von Papa­gei­en geweckt.

Johan­na liebt den Ort. Sie wid­met einen gro­ßen Teil ihrer Auf­merk­sam­keit dem hal­ben Dut­zend Hun­den, den zwei Kat­zen, dem Pferd und den ande­ren Kin­dern, die hier immer irgend­wo rum­hän­gen. Außer­dem kom­mu­ni­ziert sie mit allen. Anfangs gera­de raus Deutsch. Mitt­ler­wei­le hat sie gro­ßen Gefal­len dar­an gefun­den, ihre paar Bro­cken Spa­nisch zu ver­wen­den. Seit zehn Tagen sind wir nun hier. Wir haben vie­le wun­der­ba­re Men­schen getrof­fen. Drei­mal pro Woche ist Markt. Wenn wir dar­über lau­fen, grü­ßen wir vie­le bekann­te Gesich­ter.

Der Ort ist lan­des­weit bekannt für sei­nen Honig und sei­ne Oli­ven, die Leu­te ver­kau­fen unbe­han­del­tes Gemü­se zu güns­ti­gen Prei­sen direkt von der Lade­flä­che ihres Pick­ups. Wenn wir abends alle bei­sam­men sit­zen, fühlt sich das alles an, wie in einer gro­ßen Fami­lie. Wir haben hier einen All­tag gefun­den. Einen wun­der­schö­nen noch dazu. Kei­ne Ahnung, wie lan­ge wir noch hier blei­ben, viel­leicht sogar bis Ende des Monats. Spielt aber auch kei­ne Rol­le. Was zählt ist der Moment. Und der ist gut.

Wir kom­men an.

Zeltfrühstück

Zelt­früh­stück

Mate con miel

Mate con miel

6 Comments

  1. Philipp Unterreiner

    25. Oktober 2016 at 21:56

    Wow! schön geschrie­ben, tol­le Bil­der! hast du denn ein note­book dabei? Ent­wi­ckelst du die Bil­der in ligh­troom vor dem upload? Sehr inspi­rie­rend! Haut rein! Phil­ipp

    • Moin Phil­ipp. Yo, wir haben ein klei­nes Note­book dabei. Ich foto­gra­fie­re in JPEG und RAW, bis­lang habe ich aller­dungs nur die JPEGs hoch­ge­la­den. Momen­tan kom­me ich zeit­lich nicht zu mehr. Mega schön zu hören, dass dich das inspi­reirt. Hof­fe dir geht’s gut! Dicker Gruß vom Pro­kras­ti­na­tor ;)!

  2. Wow, span­nend und wirk­lich tol­le Bil­der !

    • Moin Giulio! Voll schön, von dir zu hören. Freut mich, dass du unse­re Rei­se ver­folgst. Fet­te Grü­ße an den See!

  3. Wun­der­schön!

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