Auf den Tag genau eine komplette Mondphase lang haben wir in San Marcos verbracht. Als wir kamen, war kein Mond zu sehen. Und so war es, als wir gingen. Von Neumond bis Neumond, genau ein Monat. Diese Tatsache ist, wie bislang beinahe alles auf dieser Reise, reiner Zufall. Jedoch einer, der nicht nur wie die Faust aufs Auge zu diesem Ort passt, sondern uns auch etwas bedeutet. In vielerlei Hinsicht stand dieser Monat im Zeichen des Mondes. Wir haben sehr viel Zeit damit verbracht, den Mond und die Sterne zu betrachten. Noch nie zuvor hatten wir über einen solch langen Zeitraum hinweg solch unglaublich klare Nächte.
Genau zwei von 31 Nächten war uns der Blick auf das Firmament verwehrt. Ansonsten absolut wolkenlos und sternenklar. Genug Zeit also, sich etwas näher mit Sternzeichen, Aszendenten und dem Mondkalender zu beschäftigen. Wichtigste Erkenntnis: entsprechend des Horoskops der Maya, die für ihre astrologischen Kenntnisse berühmt sind, bin ich von Sternzeichen „mono“, also Affe. Elisabeth meinte nur, dass man sich das auch hätte denken können.
Wie auch immer: es hat sich viel verändert in dieser Zeit. Wir haben den Winter gehen und den Frühling kommen sehen. Als wir kamen, waren die Bäume grau und blätterlos, als wir gingen, gab es kein Durchkommen mehr durch das grasgrüne Dickicht. Von minus drei auf plus 35 Grad.
Wir haben gar einen kompletten Flohzyklus miterlebt. Als wir kamen, waren alle Hunde befallen. Zwischendurch keiner. Am Ende ging das große Jucken wieder los. Vielleicht orientieren sich die lästigen Viecher ja auch am Mond.
Menschen kamen und gingen. Wir blieben. Wir waren die ersten, die kamen und die letzten, die gingen.
Das einzige, was sich nicht verändert hat, ist der Geschmack des Bieres. Auch nach der vierten Sorte ist kein Geschmacksunterschied festzustellen: konstant wässrig, aber immer eiskalt. Nun ja, eine gewisse Konstanz im Leben schadet ja nicht.
Und auf den Regen haben wir vergeblich gewartet. Aber das tun die Menschen hier nun schon seit knapp fünf Monaten.
Zwischendurch war hier richtig was los. Das bedeutendste lokale Fest, der Encuentro de Mujeres, verwandelte das Örtchen für vier Tage lang kurzfristig in eine Pilgerstätte. In seiner ursprünglichen Form ein Zusammentreffen von und für Frauen, versteht sich der Encuentro heute als eine „Zusammenkunft von Frauen und Männern, von Mädchen und Jungen, von Alten und Jungen“, kurz: von Menschen, die in gegenseitigen Austausch miteinander treten und andere Lebensrealitäten kennenlernen möchten. Wenn man das bunte Treiben, die strahlenden Gesichter, den Geruch der Pflanzen, die dort permanent verbrannt werden und die Opulenz der Körperbehaarung so betrachtet, mag der ein oder andere dazu geneigt sein, das Ganze als Hippie-Firlefanz abzutun. Wir haben uns jedenfalls sehr wohl gefühlt unter diesen Menschen, die offen aufeinander zugehen und gut mit sich selbst und anderen umgehen. Offenheit, Achtsamkeit und Toleranz sind noble Tugenden, die jedoch zunehmend aus der Mode zu kommen scheinen und in den hochindividualisierten Gesellschaften des Westens offenbar nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Naja, das nur am Rande.
Eine Woche lang haben wir gemeinsam mit unseren Mitbewohnern an einem Verkaufsstand geschuftet. Morgens säckeweise Mehl zu frischem Brot und Mandioca-Fladen verarbeitet; tagsüber und abends Berge von Gemüse und Hülsenfrüchten gehobelt, gehackt, gemörsert oder püriert – und nebenbei unter die Leute gebracht. Gute Aktion, die sich zudem positiv auf die Reisekasse ausgewirkt hat.
Irgendwann war es uns dann aber allen genug. Das Töchterlein brachte das in ihren eigenen Worten mal wieder auf den Punkt „Ich will weg von den ganzen Frauen!“. Nachdem sich der Trubel dann gelegt hatte, kehrte auch wieder die mittlerweile so wertgeschätzte Ruhe ein. Friedvolle Momente am Rio Quilpo, Pizza aus dem hauseigenen Holzkohleofen, selbstgemachte Gnocchi und saftiges Rindfleisch vom Grill. Gemeinsam Musik machen. Argentinische Momente.
Wir werden diesen Ort für immer als den Ort erinnern, an dem wir ankommen durften. An dem die Basis für die weitere, große Reise gelegt wurde. Als den Ort, den das Töchterlein zeitweise „Zuhause“ nannte und bis heute als „Südamerika“ erinnert. „Ich hab‘ den Pastor so lieb!“ – rührend.
Am letzten Abend schleicht sich die Melancholie ein. Es tut weh, sich von Menschen zu verabschiedet, die man lieb gewonnen hat. Erst recht dann, wenn man nicht weiß, ob sich die Wege jemals im Leben noch einmal kreuzen werden. Und es tut gut zu sehen, dass es dem Gegenüber genau so geht. Geteiltes Leid und so. Loslassen: eine der großen Herausforderungen des Reisens. Das Loslassen ist dem Ankommen immanent. Sobald man sich jedoch wieder die Rucksäcke aufschnallt – und das ist wirklich tröstlich – schwimmt man sich frei. Der Blick richtet sich nach vorne in der Gewissheit, dass es da draußen noch eine Menge guter Menschen und toller Orte gibt.
Zugleich geht ein erster, zugleich sehr bedeutender Abschnitt der Reise zu Ende. Wir hatten großen Respekt vor der Aufgabe, einen gemeinsamen Rhythmus zu finden. Zugegebenermaßen ist uns das auch nicht immer gelungen. Aber wir lernen Schritt für Schritt, einen gemeinsamen Alltag zu gestalten. Und wir genießen es unbeschreiblich, dass wir dafür so viel Zeit haben, auch wenn zugleich beim Reisen als Familie die persönlichen Auszeiten, das „Zeit-mit-sich-selbst-verbringen“, relativ beschränkt sind. Und das ist manchmal eine große Herausforderung.
Hätten wir vor dem Aufbruch die Möglichkeit gehabt, uns einen Ort für die ersten Wochen zu basteln, wäre dabei wohl in etwa sowas wie San Marcos rausgekommen. Danke, ihr wunderbaren Menschen, die ihr unsere Reise und unsere Leben bereichert und bunt gefärbt habt. Wir werden euch in uns tragen.
Und uns hoffentlich eines Tages wiedersehen.
Auf geht’s in den Süden, in Richtung unseres geliebten Patagoniens…
Update: Mittlerweile sind wir in Villarrica im chilenischen Seengebiet angekommen. Das heißt, wir hängen mit den Berichten etwas hinterher, was vorwiegend daran liegt, dass wir so gut wie nie Internetzugang haben.
1. Oktober 2017 at 17:02
Ach ja. Ich habe mal wieder diesen schönen blog 2016/17 angeschaut und bin sehr berührt sowohl von den Texten (Sichtweisen statt Beschreibungen) und der weiten Bandbreite von wunderschönen Fotos — eine sehr unterhaltsame Mischung von Persönlichen Bildern und Landschaftsfotos. Das ist wirklich etwas für Herz UND Hirn. Absolute Spitze! Glückwunsch !!!!
Ich bin in Gedanken oft bei Euch und natürlich freue ich mich über jeden neuen Blog. Franz
27. November 2016 at 20:57
Ohhhh ihr drei Lieben,
wenn ich eure Texte lese, ist es als wären wir dabei!! Ich fühle euch 🙂
Es ist so schön zu lesen, dass ihr solche Erfahrungen macht.
Beste Reise weiterhin!!
Umarmung, Fabienne (Felix, Levi und Bauchbaby)
22. Dezember 2016 at 5:03
Liebe Fabienne,
freuen uns mega, dass dir das so geht! Hoffen, dass es euch gut geht. Grüß deine Lieben von uns!