Roraima und die Gran Sabana

Seit zehn Tagen befin­den wir uns nun in Vene­zue­la. Genau­er gesagt im ver­meint­lich beschau­li­chen Grenz­städt­chen San­ta Ele­na de Uai­rén im Süd­os­ten des Lan­des. Ver­meint­lich, da die 15.000-Einwohner-Stadt aus Bra­si­li­en kom­mend über die ers­te vene­zo­la­ni­sche Tank­stel­le hin­ter der Gren­ze ver­fügt. Der Ben­zin­preis beläuft sich momen­tan auf 95 Cen­ta­vos pro Liter. Das sind umge­rech­net weni­ger als 10 Cent. Zum Ver­gleich: ein Liter Trink­was­ser kos­tet im Super­markt ca. das zehn­fa­che. Da die Lebens­hal­tungs­kos­ten auch so um ein Viel­fa­ches güns­ti­ger sind als im Nach­bar­land, strö­men jeden Mor­gen Heer­scha­ren von Bra­si­lia­nern über die Gren­ze, um ihr Auto für vier Euro voll­zu­tan­ken. Damit wäre aber ver­mut­lich auch schon alles gesagt, was man in west­li­chen Gefil­den über Vene­zue­la zu berich­ten weiß.

Über­nach­tungs­platz mit “Pool” in der Gran Saba­na

Dass das Land dane­ben über eine Viel­zahl ande­rer natür­li­cher Schät­ze ver­fügt, muss dem Rei­sen­den nicht erzählt wer­den. Der Reich­tum an Boden­schät­zen ist nur all­zu offen­sicht­lich. Man braucht nur mit offe­nen Augen durch die Stra­ßen zu schlen­dern und wird schnell fest­stel­len, dass fast jedes Eck­haus einen Gold- und Dia­man­ten­händ­ler beher­bergt. Das Geschäft flo­riert, Vene­zue­la gilt als eines der preis­wer­tes­ten Län­der für den Kauf von Edel­me­tal­len und Edel­stei­nen.

Am Sal­to Yuru­aní stellt man sich die Fra­ge, ob es nun Was­ser ist, das da her­un­ter­fließt, oder viel­leicht doch Bier?

Eine wei­te­re Beson­der­heit liegt in der Lan­des­wäh­rung und ist eng ver­knüpft mit der Wäh­rungs­po­li­tik der Regie­rung unter Hugo Chá­vez, einem der wohl umstrit­tens­ten Staats­ober­häup­ter der Welt­po­li­tik, der unbe­irrt sei­ne Idee eines sozia­lis­ti­schen Vene­zue­la nach kuba­ni­schem Vor­bild ver­folgt. Auf den Ver­pa­ckun­gen der Mol­ke­rei “Los Andes” wird Stolz ver­kün­det: “Hecho en socia­lis­mo”.

Um den Bolívar vor Schwan­kun­gen zu Schüt­zen wur­de im Jah­re 2008 der Bolívar Fuer­te ein­ge­führt und ein fes­ter Wech­sel­kurs zum US-Dol­lar von der Regie­rung  fest­ge­legt. Offi­zi­ell bekommt man für 1 US$ genau 2,15 BsF. Um die Effi­zi­enz die­ser Maß­nah­men im Hin­blick auf das Ziel zu beur­tei­len, die Lan­des­wäh­rung vor Infla­ti­on zu schüt­zen, braucht man nur mit einem der unzäh­li­gen Män­ner auf der Stra­ße zu spre­chen, die unter der Hand Geld tau­schen. Auf dem Schwarz­markt bekommt man aktu­ell 8 BsF . Das ist ziem­lich genau das Vier­fa­che.

Die Gran Saba­na ist voll spek­ta­ku­lä­rer Was­ser­fäl­le

Da die Ban­ken an den offi­zi­el­len Wech­sel­kurs gebun­den sind, besteht die ein­zi­ge Mög­lich­keit, preis­wert durch das Land zu rei­sen dar­in, einen Hau­fen Bar­geld mit über die Gren­ze zu schlep­pen und vor Ort auf dem Schwarz­markt zu tau­schen. Genau so haben wir das auch gemacht. Wie wan­ke­mü­tig die Wäh­rung ist, kann man an den sich rasch ver­än­dern­den Wech­sel­kur­sen able­sen. Prei­se in Super­märk­ten ver­än­dern sich fast täg­lich. Das ist gut für uns, denn wir kön­nen uns mit unse­rem Geld wesent­lich mehr leis­ten als gedacht und das ver­meint­lich teu­re Vene­zue­la stellt sich mehr und mehr als recht preis­wert her­aus.

Dass Vene­zue­la aus­ser Chá­vez, Öl, Gold, dem Natio­nal­sport Base­ball und sei­nen Schön­heits­kö­ni­gin­nen (kein Land hat inter­na­tio­nal mehr Wett­be­wer­be gewon­nen) noch mehr zu bie­ten hat, geht da schnell unter. Die land­schaft­li­che Schön­heit ist eine die­ser Din­ge. Dass ein Ölstaat wie Vene­zue­la (Erd­öl sichert 80 Pro­zent der Export­erlö­se; Platz acht in der Lis­te der größ­ten Erd­öl­för­de­rer der Welt) nicht dar­auf ange­wie­sen ist, sei­nen Tou­ris­mus­sek­tor zu för­dern, ist selbst­ver­ständ­lich. Doch es ist vor allem der schlech­te Ruf, der ver­hin­dert, dass mehr Tou­ris­ten das Land besu­chen. Zu unsi­cher, zu gefähr­lich. Vene­zue­la gilt mitt­ler­wei­le als eines der gefähr­lichs­ten Län­der des Kon­ti­nen­tes. Inwie­fern dies jedoch der Wirk­lich­keit ent­spricht oder nur das Ergeb­nis einer von der Chá­vez-Oppo­so­ti­on ange­heiz­ten Dis­kus­si­on dar­stellt, kön­nen wir bis­her noch nicht sagen. Cara­cas ist mit Sicher­heit eine gefähr­li­che Stadt, liegt aber ohne­hin nicht auf unse­rer geplan­ten Rei­se­rou­te. Die ers­ten Tage hier waren jeden­falls eine Freu­de, die Men­schen abso­lut offen und freund­lich.

Am Aus­gangs­punkt des Rorai­ma-Treks. Im Hin­ter­grund die spek­ta­ku­lä­ren Tafel­ber­ge (Tepuis)

Wir befin­den uns in einem Land, das in vie­ler­lei Hin­sicht mit Schön­heit geseg­net ist, das aber von aus­län­di­schen Tou­ris­ten rela­tiv gemie­den wird. Von den Län­dern, die wir bis­lang besucht haben, ist Vene­zue­la in der Tat das ers­te latein­ame­ri­ka­ni­sche Land, in dem der Tou­ris­mus rück­läu­fig ist. Rei­se­agen­tu­ren schlie­ßen vie­ler­orts, Hos­tels und Hotels ste­hen leer. Das Ende die­ser Ent­wick­lung ist nicht abseh­bar, die Men­schen fürch­ten jedoch, dass dies erst der Anfang ist und die Sicher­heits­la­ge für aus­län­di­sche Besu­cher sich in den kom­men­den Jah­ren wei­ter ver­schlech­tern wird.

Der Weg ist das Ziel: Rorai­ma-Tepui in vol­ler Pracht

Der benach­bar­te Kuken­án-Tepui

Am Fuße des Rorai­ma am Vor­abend der Bestei­gung

Wir haben vor eini­gen Mona­ten beschlos­sen, das land zu besu­chen. Das hat­te vor allen Din­gen einen Grund: die Gran Saba­na. Eli­sa­beth hat­te vor eini­gen Jah­ren in der GEO-Zeit­schrift einen Bericht über die­sen Teil des Lan­des gele­sen und seit­dem nicht mehr ver­ges­sen. Was die­ses Gebiet so ein­zig­ar­tig macht, sind vor allem sei­ne Tafel­ber­ge, auch Tepuis genannt. Eini­ge hun­dert die­ser Ber­ge gibt es in die­ser Regi­on, ver­teilt auf Vene­zue­la, Bra­si­li­en und Guya­na. Zu welt­wei­ter Bekannt­heit gelang­te der höchs­te und zugleich ältes­te unter ihnen: der Rorai­ma-Tepui. Ent­stan­den vor über zwei Mil­li­ar­den Jah­ren, als Süd­ame­ri­ka, Afri­ka und Aus­tra­li­en noch gemein­sam den Super­kon­ti­nent Gond­wa­na bil­de­ten. Ein Ort der Super­la­ti­ven. Auf sei­nem fel­si­gen Hoch­pla­teau, das in sei­ner Karg­heit in der Tat an eine ver­las­se­ne Welt erin­nert (“The Lost World”), inspi­rier­te nicht nur Wis­sen­schaft­ler, son­dern auch Auto­ren und Fil­me­ma­cher. So ver­wun­dert es dann auch wenig, dass Ste­ven Spiel­berg die Gran Saba­na als einen der Haupt­schau­plät­ze für sein Dino­sau­ri­er-Epos “Juras­sic Park” aus­wähl­te.

Doch so karg und ver­las­sen die­se Land­schaft auch wir­ken mag: sie steckt vol­ler Leben. Davon konn­ten wir uns auf unse­rer sechs­tä­gi­gen Wan­de­rung selbst über­zeu­gen. Wir ent­schie­den uns näm­lich dazu, den Rorai­ma zu bestei­gen und uns selbst ein Bild von die­sem so beson­de­ren Berg zu machen. Die bis zu 1000 Meter hohen Fels­wän­de fal­len schroff ab und stel­len eine ent­wick­lungs­bio­lo­gi­sche Grenz­li­nie dar. Die Abge­schie­den­heit des Hoch­pla­teaus ermög­lich­te einer Viel­zahl von Pflan­zen- und Tier­ar­ten eine voll­kom­men eigen­stän­di­ge Ent­wick­lung über vie­le Mil­lio­nen Jah­re hin­weg. Über 2000 unter­schied­li­che Pflan­zen­ar­ten hat man bis­her auf den Pla­teaus der Tepuis gefun­den, von denen über die Hälf­te ende­misch ist, das heißt nir­gend­wo anders auf der Welt zu fin­den ist. Nir­gend­wo anders auf der Welt fin­det man einen solch gro­ßen Anteil ende­mi­scher Lebens­for­men. Arten, die andern­orts nur noch als Fos­si­le erhal­ten sind, konn­ten hier — in einer ande­ren Welt, so nah und doch so fern der “unse­ren” — wei­ter­exis­tie­ren und sich fort­ent­wi­ckeln.

Blick vom Rorai­ma auf den Rorai­ma

Ein mys­ti­scher Ort

Die  sechs Tage am, um und auf dem Rorai­ma sind sicher eines der abso­lu­ten High­lights use­rer so ereig­nis­rei­chen Rei­se und stell­ten zugleich einen fan­tas­ti­schen Rah­men für die Fei­er­lich­kei­ten anläss­lich Eli­sa­beths Süd­ame­ri­ka-Jah­res­tags dar. Am 16. Okto­ber ver­gan­ge­nen Jah­res begann für sie in Bue­nos Aires das Aben­teu­er. Es sind schlicht die Anders­ar­tig­keit und die Unver­gleich­bar­keit, die die­sen Berg so außer­ge­wöhn­lich machen. Neben der Bewun­de­rung von Flo­ra und Fau­na sind es vor allen Din­gen die fan­tas­ti­schen Bli­cke vom auf 2.800 Metern gele­ge­nen Gip­fel-Pla­teau, die einem den Atem rau­ben. Und war­um uns die Zeit in der Gran Saba­na als beson­ders far­ben­rei­che in Erin­ne­rung blei­ben wird, geht aus den Bil­dern hof­fent­lich her­vor.

Auf dem Hoch­pla­teau

Mit einem tan­zen­den Her­zen und vol­ler Vor­freu­de dar­auf, was die­ses Land noch alles zu bie­ten hat, set­zen wir uns in weni­gen Stun­den in den Nacht­bus in Rich­tung Nor­den. Nach Ciu­dad Bolívar. Die Stadt, die nach dem gro­ßen Latein­ame­ri­ka-Befrei­er Simón Bolívar benannt ist. Des­sen groß­ar­ti­ge und tief­trau­ri­ge Geschich­te hat an die­ser Stel­le jedoch kei­nen Platz mehr, wird uns jedoch ver­mut­lich in den kom­men­den Tagen das ein oder ande­re Mal begeg­nen…

Ein schwe­rer Abschied…

 

2 Comments

  1. ja, ihr süßlinge..das wür­de mich auch mal interessieren..wie seid ihr da hoch gekom­men?
    dan­ke dem zau­ber­schrei­ber für die mühe uns alles so nahe zu bringen..und wei­ter glück­li­che zei­ten

  2. uiju­i­ju­i­jai !!!!was heißt Bestei­gung ? Nicht etwa Beklet­te­rung ?Das geht doch senk­recht hoch. Wahn­sinn !
    Gut ‚mal wie­der etwas von euch gehört zu haben,
    GR +K Ma aus Ma

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