Der Titel ist zwar zwischenzeitlich nicht mehr aktuell, befinden wir uns doch mittlerweile schon in der Gran Sabana im Südosten Venezuelas an der Grenze zu Guyana und Brasilien; dennoch befinden wir die Eindrücke und Einsichten, die wir während unserer Amazonas-Reise sammeln konnten, als zu bemerkenswert, als dass wir sie der Allgemeinheit vorenthalten könnten.
Und das hat vielerlei verschiedene Gründe.
Zum einen wären da die Schiffe an sich. Drei unterschiedliche Transportschiffe waren von Nöten, um die knapp 3000 km lange Strecke von Yurimaguas/Peru über Iquitos, das Dreiländereck Peru (Santa Rosa), Brasilien (Tabatinga) und Kolumbien (Leticia) und schließlich Manaus zurückzulegen. Schlimme Dinge hatten wir im Voraus gehört. Die hygienischen Verhältnisse seien menschenunwürdig, die Passagiere sowieso alle kriminell und das Essen selbst für (verwöhnte deutsche?!) Hunde eine Zumutung.
Einige Rucksackreisende aus der vermeintlich zivilisierten westlichen Welt auf unserer ersten Fahrt sollten die einzige wirkliche Zumutung bleiben. Das Essen stellte sich mit der Ausnahme des zweiten Schiffes von Iquitos nach Leticia als köstlich heraus, die sanitären Anlagen wurden mehrmals täglich gereinigt und die Existenz mehrerer Duschen muss wohl den Herrschaften des so hoch gelobten Ausländischen Amtes in Berlin bei ihrer Reise entgangen sein. Oder wie soll man sich sonst erklären, warum vor einer Anreise per Schiff nach Iquitos wegen der miserablen hygienischen Verhältnisse so dringend abgeraten wird? Weiß der Teufel…
Zur Sicherheit an Bord kann man sicher geteilter Meinung sein. Letzendlich erweist sich ein wachsames Auge als das einzig sichere Mittel, Diebstahl zu verhindern. Ja, es wird viel geklaut, meist jedoch ist dies eben auf Unachtsamkeit zurückzuführen. Man muss sich eben vorstellen, dass sich mehrere hundert Menschen ihren Hängematten kreuz und quer, über- und untereinanderhängen. Das Gepäck wird dann unter der Hängematte platziert. Eng aneinander liegend versucht man dann, eine angenheme Schlafposition in seiner Matte zu finden. Klar, dass es in solch einem Durcheinander Menschen gibt, die die Möglichkeit wahrnehmen, sich an herumliegenden Rucksäcken zu bedienen. In den meisten Fällen jedoch hatten wir angenehme und vertrauenswürdige Nachbarn, sodass sich die anfänglichen Paranoia dann auch schnell legten.
Nun aber zur wesentlichen Frage: wie verbringt man acht Tage auf einem Schiff auf einem Fluss, dessen Ufer die meiste Zeit der Fahrt mehrere hundert Meter entfernt lediglich als kleine grüne Streifen am Horizont erkennbar sind? 3000 km sind eine lange, lange Strecke. Die Ausmaße des Amazonas, dieses unglaublichen Stroms, sind im wahrsten Sinne des Wortes unfassbar. Mit einer Länge von ca. 6.500 km ist der Amazonas nach dem Nil der längste Fluss der Erde. Was ihn aber zur Mutter aller Flüsse und zum Schöpfer eines der artenreichsten Gebiete des Planeten macht ist die unglaubliche Menge an Wasser, die er führt. Der Amazonas führt im Jahresmittel mehr Wasser, als die ihm folgenden sieben wasserreichsten Flüsse der Erde gemeinsam! Hinter Manaus ist der Fluss je nach Jahreszeit zwischen 4 km und 10 km breit, während der Regenzeit werden die angrenzenden Gebiete auf einer Breite von bis zu 60 km überschwemmt. Allein 17 seiner Nebenflüsse sind länger als 1.600 km und damit allesamt länger als der Rhein (1.200 km). Das Amazonasbecken bedeckt fast die gesamte nördliche Hälfte des südamerikanischen Kontinents.
Nun, da die wenigen großen Siedlungen entlang des Amazonas fast ausschließlich per Schiff oder Flugzeug erreichbar sind (Iquitos ist die größte nicht auf dem Landweg erreichbare Stadt der Welt), dient der Fluss nicht zuletzt als primärer Transportweg für Menschen und den Gütertransport. Dementsprechend ist die eigentliche Hauptattraktion einer Reise auf dem Hauptstrom des Amazonas neben des Fühlens dieser unglaublichen Weite das Beobachten des alltäglichen Lebens auf dem Amazonas. Sämtliche Schiffe, mit denen wir gereist sind, erfüllen eine Doppelfunktion und transportieren auf dem unteren Deck Güter und Tiere, während die oberen beiden Decks für Passagiere reserviert sind.
Regelmäßig halten die Schiffe im vermeintlichen Niemandsland, bis sich einige Ureinwohner mit Macheten dem Dampfer nähern und es — nein, nicht entern, sondern — mit Bananen beladen. Nach acht Tagen auf dem Fluss ein sehr vertrautes Bild ist ein kleiner mit Palmwedeln bedeckter Unterstand zwischen Regenwald und Flussufer, der als Bananenlager dient. Bei anderen Stopps werden Passagiere aufgeladen, wieder andere versorgen kleine Dörfer mit riesigen Eisblöcken, die als natürliche Kühlschränke dienen. Oft werden fünf Kästen Bier an Land geschafft. Auch im tropischen Regenwald des Amazonas ist Alkohol mittlerweile ein kostbares Gut. Hält das Schiff in größeren Ortschaften, stürmen Heerscharen von Menschen auf das an Bord, um ihre Waren anzubieten oder auch den ein oder anderen Passagier unfreiwillig von den Lasten seines Gepäcks zu befreien. Ein farbenfrohes Spektakel!
Etwa 60 Kühe begleiteten uns auf dem Unterdeck auf dem Weg von Yurimaguas nach Iquitos. Während sich die Passagiere hin und wieder mit einer zumindest lauwarmen Dusche erfrischen konnten, wurde das Vieh mehr oder weniger seinem Schicksal selbst überlassen und sorgte damit unfreiwillig für die Unterhaltung der von der Mittagshitze geplagten Passagiere. Lasst die Spiele beginnen! Oder: Notschlachtungen an Bord. Wir durften uns also davon überzeugen, wie man eine verdurstete Kuh mit einer einigen Machete binnen kürzester Zeit (fachgerecht?) zerteilt. Erste Reaktion: “Endlich mal kein Hühnchen zum Abendessen!”
Für Unterhaltung und leibliches Wohl war also jederzeit gesorgt, die restliche Zeit haben wir uns mit der Lektüre der Abenteuer des “Papillon” vertrieben, die zu großen Teilen an Orten spielen, die wir im Laufe unserer Reise bereits kennenlernen durften oder die wir noch besuchen möchten. Und ansonsten: die Atmosphäre aufsaugen! Der Amazonas also, ein Name, der einem spätestens seit dem Erdkundeuinterricht in der Schule ein Begriff ist. Un nun darf man ihn tatsächlich erleben. Der Amazonas bleibt kein loser Begriff mehr, er wird greifbar, erlebbar. Die Realtität des dieses Flusses liegt weit entfernt von dem, was man aus Arte-Dokumentationsfilmen kennt oder in National Geographic-Heften gelesen hat. Wer Tiere sehen will, muss auf einen der unzähligen kleineren Nebenarme ausweichen. Wer auf dem Hauptstrom reist, bekommt die ungeschönte Realität zu Gesicht.
Auf unsseren Zwischenstationen verbrachten wir jeweils einige Tage in Iquitos, Leticia, Puerto Nariño und Manaus. Während wir in Iquitos und Manaus auf den Spuren von Werner Herzog und Klaus Kinski (“Fitzcarraldo”) wandelten und neben dem berühmten Opernhaus in Manaus vor allem vom fantastischen Markt in Iquitos beeindruckt wurden (man merkt, wo und wie weit weg von “zu Hause” man ist, wenn auf dem Markt Schildkröten, Schlangen, Caimane und sonstige “Delikatessen” verkauft werden), konnten wir in Puerto Nariño einen kleinen Eindruck in die tierreichen Schutzgebiete entlang des Amazonas gewinnen und einen kleinen Einblick in das Städtchen erhalten, welches aufgrund seiner vorbildhaften und auf Nachhaltigkeit basierenden Abfallwirtschaft als eines der saubersten auf dem gesamten Kontinent gilt.
Unser Amazonas-Abenteuer dauerte von Anfang bis Ende etwa drei Wochen und wir sind froh und sehr dankbar für all die Eindrücke, die wir sammeln konnten. Nach einer solch langen Zeit in der Hängematte inmitten der nur schwer erträglichen tropischen Hitze müssen wir aber auch gestehen, dass uns nun die Fußsohlen brennen und wir uns darauf freuen, in den nächsten Wochen unser zu Hause wieder in den Bergen zu finden. In diesem Sinne: auf zu neuen Ufern!
17. Oktober 2011 at 9:43
In gewisser Weise erinnert mich euer schoener Bericht an die Romane und Erzählungen von Marquez: lähmende Hitze, weitgehend den eigenen Gedanken überlassene Menschen: die Einsamkeit des Seins. Ich kann mir vorstellen, dass das aber durchaus sehr interessant war fuer euch — auch wenn 3 Wochen doch eine unglaublich lange Zeit sind. Aber wer hat sonst die Gelegenheit, eine solche Situation so lange Zeit auf sich einwirken zu lassen. Ich denke, an diese Schiffsfahrt werdet ihr noch lange zurueck denken.
Fuer eure weiteren Vorhaben in den Bergen Venezuelas wuensche ich euch alles Gute,
Franzi
16. Oktober 2011 at 9:08
ihr süßlinge, was für eine tolle reise auf dem großen,großen fluß.…wunderbare bilder!!!!!!!!!!danke und tausendmillionen küsse von der memo
12. Oktober 2011 at 15:21
DAMN, was hat der Typ in Iquitos für nen fetten Fisch in der Hand!?!
Und ich glaube in Manaus mag der Bürgermeister Oper.
Alles superschön! Hanne