Unsere Busreise endete in La Quiaca, Argentinien. Das bedeutete, dass wir die Grenze nach Villazón zu Fuß überqueren mussten. Irgendwie ein schönes Gefühl, bewusst in ein anderes Land zu laufen, zusammen mit einigen hundert anderen Menschen. Die Straße gesäumt von Straßenhändlern, die billige Straßenware an den Mann bringen wollen. Es ist keine gewöhnliche Grenze.
Nicht nur die Tatsache, dass wir uns der bolivianischen Nationalflagge Schritt für Schritt nähern. Die Menschen sehen plötzlich total anders aus. Zum einen sind sie durchschnittlich nur noch 1,60 Meter groß, zum anderen riechen sie ganz anders und sehen ganz anders aus. Da die Bezeichnung „Indio“ als diskriminierend gilt, sprechen wir von nun an von den „Ureinwohnern“, gemeint sind aber eben jene kleinen, dunkelhäutigen Menschen, die durch hohe Wangenknochen und ausgeprägte Kieferknochen auffallen und dem ersten Eindruck nach ziemlich befremdlich wirken.
Es ist kein gewöhnlicher Grenzübergang. Es ist nicht so, wie wenn wir mal von Deutschland nach Österreich fahren. Die Sprache bleibt zwar gleich (zumindest die offizielle Landessprache; die Ureinwohner sprechen Quechua), die Vorzeichen ändern sich jedoch komplett. Es ist vielmehr vergleichbar mit der Grenze zwischen Deutschland und Russland. Es ist ein komplett unterschiedlicher Lebensstandard, die Menschen sind viel ärmer. Und es ist eine andere Armut als zum Beispiel in Asien. Hier haben die Leute nicht nur kein Geld, hier ist der Boden unfruchtbar, trocken, hart. Echte Knochenarbeit, ein Rätsel, wie sich die Menschen in diesem Teil des Landes selbst ernähren können. 85 Prozent der Männer kauen 30 Gramm Coca-Blätter am Tag und haben dadurch den ganzen Tag über eine dicke Backe (anfangs haben wir uns noch darüber gewundert, warum so viele Menschen einen Gesichts-Tumor haben). Die Frauen tragen alle Melonen-Hüte, eine Bluse, darüber eine einfarbige Strickweste, mehrere Röcke übereinander, darunter eine Strumpfhose und geschlossene Schuhe. Die dicken Haare, meist bis zum (voluminösen) Hinterteil reichend, sind zu wulstigen Zöpfen geflochten und am Ende mit einer Art Kordel miteinander verbunden. Viele sind Marktfrauen, verkaufen ihre Ware auf der Straße oder auf Märkten (ja, es ist toll, die Tagesmärkte sind zurückgekehrt und haben die Supermärkte wieder abgelöst) oder sind auf dem Feld beschäftigt. Oft sieht man sie mit den typischen bunten Tüchern auf ihrem Rücken, wie sie eines ihrer durchschnittlich drei Kinder (auf dem Land sechs Kinder pro Frau), zu einem kleinen „Packen“ mit Mütze zusammengeschnürt, umhertragen. Überhaupt scheinen Frauen und Kinder eine große Rolle zu spielen. In ländlichen Gebieten arbeiten alle Kinder ab einem Alter von zehn Jahren. Meistens werden sie mit der Aufgabe betraut, das Vieh zu hüten. Wenn sie älter sind, treiben sie eine kleine Anzahl von Eseln, bepackt mit riesigen Mais- oder Kornbüscheln, umher. Die Jüngeren führen fette Schweine an Leinen durch die Landschaft, während zwei Geschwister gemeinsam die Schafe hüten und somit den ganzen Tag damit beschäftigt sind, dem Vieh beim Fressen zuzuschauen. Verständlich, dass sie sich oft von morgens bis abends in den Schatten hinter einen Busch oder unter einen Baum legen und schlafen…
Nun gut, zu Anfang ist vieles sehr neu, doch mit der Zeit findet man sich auch hier zurecht, kann sich mit dem unterschiedlichen Hygienestandard arrangieren (nur in Bussen führt die hohe Konzentration des Geruchs manchmal zum plötzlichen Schwinden jeglichen Appetits) und lernt die Mentalität der Menschen sehr zu schätzen. Vielleicht ist das so unterschiedliche Aussehen der Menschen am Anfang eine Hürde, doch schnell haben wir die Menschen hier lieben gelernt. Es sind hilfsbereite, ehrliche Leute, man muss sehr selten handeln, meist bekommt man ehrliche Preise genannt. Oft werden wir angesprochen, woher wir kommen, ob wir verheiratet sind. Man kann sich näher kommen, fühlt sich nicht distanziert oder gar ausgeschlossen.
Und was das Touristen-Dasein angeht herrschen hier natürlich wieder paradiesische Zustände: Zimmer für drei Euro pro Nacht, zwei Euro für eine warme Mahlzeit, man könnte fast schon von asiatischen Verhältnissen sprechen…
Nach der ersten Nacht in der Grenzstadt Villazón machten wir uns dann also am folgenden Tag auf den Weg Richtung Norden. Mit dabei war Adrian aus Heidelberg, den wir zuvor schon in Salta getroffen hatten. Tupiza, eine kleine Stadt im Süden des Landes, sollte nun unsere erste Station in Bolivien sein. Umgeben von einer traumhaften Landschaft hatten wir ursprünglich vor, einige Tage unseres 30-Tage-Visums hier zu verbringen. Doch wie so oft wollte es das Schicksal einmal wieder anders…
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