Wie das so ist, wenn man sich auf Reisen befindet und jeden Tag aufs Neue Neues kennenlernt, merkt man manchmal gar nicht, wie schnell man zwischen unterschiedlichen Welten wandelt. Auch wenn wir ausgesprochen langsam reisen. Der letzte Eintrag ist jetzt fast auf den Tag einen Monat her. Es fühlt sich an, als sei ein halbes Jahr vergangen. Ein schönes Gefühl.
Mittlerweile befinden wir uns also schon in Ecuador. Vielleicht sollte man jedoch eher sagen “noch”, denn in weniger als zehn Tagen werden wir vermutlich die peruanische Grenze erreicht haben. Das tut aber auch eigentlich wenig zur Sache, denn schließlich fühlen sich auch diese Tage — 20 sind es an der Zahl — in diesem für uns ganz und gar neuen Land an, wie eine halbe Ewigkeit.

Blick über Quito, im Hintergrund die vergletscherte Spitze des Cotopaxi
Im Vergleich mit seinen großen Nachbarn Kolumbien und Peru ist Ecuador ein wirklich kleines Land. Etwas kleiner als das Bundesgebiet des ehemaligen Westdeutschlands. Das ist für südamerikanische Verhältnisse fast vernachlässigenswert klein, in jedem Falle aber groß genug, den Reisenden vor organisatorische “Probleme” zu stellen. Ja, auch wenn da auf hohem Niveau geklagt wird: die Reiseplanung ist trotz oder gerade wegen des Nicht-Vorhandenseins eines wirklichen Reiseplans (eher: Ideen) eine unserer alltäglichen “Pflichten”, denn wir haben durchaus den Anspruch, aus unserer begrenzten Zeit das Bestmögliche zu machen. Als Nachweis unseres harten Schicksals soll die Tatsache genügen, dass wir — mit ganz wenigen Ausnahmen — doch tatsächlich jeden Tag um 7 Uhr morgens beginnen!

Morgens an der Laguna Limpiopungo. Der Cotopaxi: Ein Vulkan, wie ihn ein Kind malen würde
Ecuador also, ein kleines Land. Trotzdem: wirft man einen Blick auf die Topografie des Landes, so muss man (mehr oder minder erstaunt) feststellen, dass dieses unscheinbar kleine Land doch über eine unfassbare Vielfalt unterschiedlicher Vegetationszonen verfügt. Unter allen Möglichkeiten erschien uns die Sierra, das Hochland also, am attraktivsten. Wir befinden uns also auf den Spuren des großen Alexander von Humboldt auf der “Allee der Vulkane”. Einfacher und treffender kann man diese ca. 300 km zwischen Tulcán und Riobamba wahrscheinlich nicht beschreiben. Gesetzt die Wolken lassen es zu, ist es unmöglich, nicht von jedem beliebigen Punkt aus mindestens einen der schneebedeckten Gipfel zu erspähen. Der wegen seiner Formvollkommenheit wohl markanteste und bekannteste unter ihnen ist der Cotopaxi. Bis der “Ojos del Salado” an der argentinisch-chilenischen Grenze vor wenigen Jahren wieder zum Leben erwachte, konnte der Cotopaxi gar den Titel des “höchten aktiven Vulkans der Erde” für sich beanspruchen. Doch auch der Verlust dieses Titels nimmt dem kegelförmigen Riesen nichts seiner ungemeinen Ausstrahlungskraft.

Wild campen oberhalb der Lagune mit nettem Blick auf unseren Hausberg

Blick nach vorne aus dem Zelt heraus…

…und nach hinten!
Über das Örtchen Otavalo, Heimat des größten Kunsthandwerk-Marktes des gesamten Kontinents, die faszinierende Hauptstadt Quito und die Stadt Latacunga, die uns als Basis für zahlreiche Unternehmungen in die Provinz diente, gelangten wir mit einigen Umwegen schließlich nach Baños am Fuße des aktiven Vulkans Tungurahua, wo wir uns gerade befinden.

Donnerstag ist Markttag im Hochland-Dörfchen Zumbahua

Zu Fuß unterwegs von Dorf zu Dorf
Mit dem Überschreiten der Grenze von Kolumbien nach Ecuador haben sich zwei wesentliche Dinge geändert: die einheimischen Menschen sind zu einem überwiegenden Großteil indigener Abstammung. Mestizen sind fast nur in den größeren Städten zu sehen, während die Küste, ähnlich wie in Kolumbien, größtenteils von Nachkommen afrikanischer Sklaven bevölkert ist. Zum anderen trifft man wesentlich mehr ausländische Touristen. Während aufgrund der sich hartnäckig haltenden Vorurteile (Drogenkriminalität, Guerilla, Entführungen) nur wenige Touristen nach Kolumbien verirren und man das Land vergeblich in der Angeboteliste der großen Reiseveranstalter suchen wird, verfügt Ecuador über eine ausgeprägte touristische Infrastruktur und lockt Rucksackreisende wie Familien und Pauschalreisegruppen an. Das irritiert im ersten Augenblick, ist aber nicht weiter störend, weil man doch wie überall nur ein paar wenige Schritte aus den touristischen “Ballungszentren” herauszugehen braucht, um sich vollkommen alleine inmitten einer faszinierenden Bergwelt wiederzufinden. Da das “Laufen” ja zu unserer Leidenschaft geworden ist, haben wir schon viele Tage damit zugebracht, über staubige Zufahrtsstraßen von Dorf zu Dorf zu wandern und so — trotz so einiger negativer Schilderungen von Mitreisenden — einen wunderbar freundlichen Eindruck über Land und Leute gewinnen konnten. Sicher, im ersten Moment mag die indigene Landbevölkerung zurückweisend, misstrauisch und dadurch befremdlich wirken. Doch über ein freundliches Lachen und ein selbstbewusstes “Buenos días” bewirkt man meist offene, herzliche Reaktionen und viel Neugier. Bei der Beurteilung von Offenheit und Toleranz gegenüber Fremden stelle man sich nur einen afrikanischen oder arabischen Touristen im tiefen Odenwald, auf der schwäbischen Alb oder in der Uckermark vor!

Die Laguna Cuicocha, ein Kratersee
Die schwere Witschaftkrise um die Jahrtausenwende, die die Einführung des US-Dollars als offizielle Landeswährung mit sich brachte, und die schweren Schäden, die El Niño fast zeitgleich verursachte, hatten schwerwiegende Folgen für die Gesellschaft. Ein beträchtlicher Teil der Mittelschicht verarmte und heute leben Schätzungen zufolge knapp zwei Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Auch wenn man ganz klar sagen muss, dass sich das Land wesentlich unsicherer anfühlt als Kolumbien, so haben wir hier doch fast nur positive Erfahrungen gemacht und die Menschen hier in unser Herz geschlossen.

Wieder mal alleine unterwegs an der Laguna Mojanda bei Otavalo
Wie es momentan aussieht, werden wir in Kürze Richtung Huaraz, Peru, weiterreisen, wo wir einige Wochen in der Cordilera Blanca und Cordillera Huayhuash in den Bergen verschwinden wollen. Danach wollen wir schauen, ob wir irgendwie von Yurimaguas über Iquitos auf dem Amazonas nach Manaus/Brasilien, kommen. Sollte das klappen, wird die Reise weitergehen nach Venezuela, bevor sich der Kreis dann Mitte Dezember in Kolumbien schließt. Es wäre allerdings nicht das erste Mal auf dieser Reise, dass uns ein Land und seine Menschen dazu bewegen, unsere Planungen über den Haufen zu werfen. Bisher — toi toi toi — waren es immer positive Erfahrungen, die uns den Abschied erschweren wollten…

Der Zielpunkt unserer Wanderung: die Laguna Quilotoa. Wen wundert’s: ein Kratersee!

Kraterumrundung: Blick vom Kraterrand ins Tal
23. August 2011 at 22:30
Also, eigentlich bin ich wieder einmal von der Dichte eurer
Schilderungen ganz fasziniert.
Dem alten Goethe wird ja der Satz zugeschrieben, der Brief, den er heute schreibe sei leider zu lange geraten, da er zu weinig Zeit gehabt habe, sich kürzer zu fassen…
Ja, eigentlich…
Was mir überhaupt nicht gefiel — und das meine ich rein ästhetisch — ist der Hinweise auf die Schwaebische Alb. Ich kenne die ziemlich genau und kenne keinen anderen Ort — ich schwör’s bei allen Heiligen — dieserr Welt, an dem die Toleranz ähnlich ausgeprägt ist.
Weiterhin viel Spass und Erfolg beim Gewinnen neuer Einsichten (bitte schön, ich meine, kein Plagiat!),
Franzi