Ja ja, wie ihr schon erah­nen könnt, hat sich bei uns in den letz­ten Tagen so eini­ges getan. Wir haben eini­ge hun­dert Kilo­me­ter zurück­ge­legt und fei­ern den Jah­res­wech­sel in der Haupt­stadt des König­rei­ches Kam­bo­dscha, in Phnom Penh. Hier sind wir vor zwei Tagen ange­kom­men und man kann sagen, dass wir schon jetzt von die­ser Stadt sehr ange­tan sind. Durch unse­re Erfah­run­gen der letz­ten sechs Wochen kom­men wir in die­sem rie­si­gen unüber­sicht­li­chen Moloch um eini­ges bes­ser zurecht als noch in Bang­kok, das wir wie ihr wisst flucht­ar­tig und von Hass erfüllt ver­las­sen muss­ten. Wir konn­ten eines der sehr begehr­ten gro­ßen Zim­mer eines schö­nen Guest­hou­ses am See Boeng Kak ergat­tern, wo es doch etwas ruhi­ger zugeht, als im Rest der Stadt. Von der gro­ßen Ter­ras­se aus kön­nen wir den Son­nen­un­ter­gang genie­ßen und die klei­ne Gas­se ist gespickt mit gemüt­li­chen klei­nen Knei­pen, Unter­künf­ten, Buch­lä­den und klei­nen Shops.

Außer­halb die­ser Idyl­le war­tet jedoch eine erbar­mungs­lo­se asia­ti­sche Groß­stadt auf uns: Vie­le, sehr vie­le Men­schen, die Lun­ge schwär­zen­der und in den Augen ste­chen­der Smog, zahl­rei­che Märk­te, von Schmutz bedeck­te Bür­ger­stei­ge und vor allem brei­te Stras­sen, auf denen ein dau­er­haf­ter Kampf um jeden Zen­ti­me­ter geführt wird. Es drän­gen sich unbe­schreib­li­che Mas­sen von Rol­lern (hier fin­den vier Per­so­nen Platz oder alter­na­tiv zehn Kör­be fri­sches Gemü­se, fünf Eimer Fisch, 40 Hüh­ner, zwei Schwei­ne und ein Fahr­rad, im Not­fall noch ein wenig Stahl­schrott und ein Auto­rei­fen), Tuk-Tuks, Fahr­rä­dern, teu­ren Jeeps und PKW’s, bis zum Ran­de über­la­de­nen und teil­wei­se stin­ken­den weil mit Fisch bela­de­nen LKW’s, Bus­sen und bei­na­he zusam­men­bre­chen­den weil 20 Men­schen trans­por­tie­ren­den Pick­ups, dazwi­schen Fuß­gän­ger (meis­tens Schul­kin­der oder Frau­en mit einem gro­ßen Holz­schub­wa­gen) und — ein Ele­fant. Der rei­bungs­lo­se Ver­kehrs­fluss, der trotz alle­dem tat­säch­lich bei­na­he immer gewähr­leis­tet ist, scheint umso unglaub­li­cher, da es hier kei­ne Ver­kehrs­re­geln gibt. Die Zahl der Ampeln geht gegen Null und Kreis­ver­keh­re gibt es hier genau­so vie­le wie Grizz­ly­bä­ren im Lui­sen­park. Wer die Stra­ße über­que­ren will, der drückt ein­fach fünf bis zehn Mal auf die Hupe und fährt dann in aller See­len­ru­he in die Kreu­zung ein, die ande­ren Gefähr­te fol­gen ihm solan­ge, bis irgend­je­mand auf die Idde kommt, sich quer auf die Fahr­bahn zu stel­len — und sich der Vor­gang wie­der­holt. Es ist schon ein Erleb­nis und macht uns sehr gro­ßen Spaß, solan­ge wir auf unse­rem „siche­ren“ Motor­rad-Taxi sit­zen und das Gesche­hen in aller Ruhe beob­ach­ten kön­nen.
All­zu viel haben wir hier noch nicht gese­hen, aber das Gefühl stimmt, sodass wir hier sicher­lich noch zwei Näch­te blei­ben wer­den. An Syl­ves­ter wird hier ordent­lich was los sein und der mor­gi­ge Tag bleibt uns, die Stadt etwas zu erkun­den, bevor hier das Cha­os aus­bricht.
Der heu­ti­ge Tag war trotz allem Tru­bel und unse­rer all­ge­mei­nen Hei­ter­keit kein beson­ders fröh­li­cher, denn wir mach­ten uns direkt nach dem Früh­stück auf den Weg an die wohl dun­kels­ten Orte in der Geschich­te des Lan­des und der gesam­ten Mensch­heit: Die Mas­sen­grä­ber Choe­ung Ek und das Sicher­heits­ge­fäng­nis 21 (S-21), bekannt als Tuol Sleng. In der vom Pol Pot-Regime zweck­ent­frem­de­ten und zu einem Hoch­si­cher­heits­trakt umfunk­tio­nier­ten ehe­ma­li­gen Schu­le wur­den zwi­schen 1975 und 1978 tau­sen­de Män­ner, Frau­en und Kin­der fest­ge­hal­ten, miss­han­delt, gefol­tert, gequält und anschlie­ßend in das etwas außer­halb der Stadt gele­ge­ne Lager in Choe­ung Ek trans­por­tiert, um dort auf der Stel­le hin­ge­rich­tet zu wer­den. Von den einst­mals 17000 Inhaf­tier­ten konn­ten sie­ben Men­schen befreit wer­den. In S-21 wur­den im Jah­re 1977 durch­schnitt­lich 100 Men­schen am Tag grau­sam umge­bracht, wei­te­re 300 Men­schen wur­den im Kon­zen­tra­ti­os­la­ger hin­ge­rich­tet. Hier waren Strom­ge­ne­ra­to­ren vor­han­den, um die Exe­ku­tio­nen Tag und Nacht durch­zu­füh­ren, wäh­rend durch Laut­spre­cher in den Bäu­men lau­te Musik lief, damit die umlie­gen­de Bevöl­ke­rung kei­nen Ver­dacht schöpf­te. Die Tat­sa­che, dass Greu­el­ta­ten der Khmer Rouge noch kei­ne 30 Jah­re zurück­lie­gen und neben 9000 Schä­deln und Kno­chen, die aus 86 Mas­sen­grä­bern gebor­gen wur­den, die Klei­dung der Opfer aus allen Stel­len aus dem Boden her­vor­ra­gen und Infor­ma­ti­ons­ta­feln auf die Orte der Fol­ter­werk­zeu­ge, Exe­ku­tio­nen, und Besei­ti­gun­gen hin­wei­sen, macht den Besuch zu einer sehr bedrü­cken­den, wenn auch inter­es­san­ten und wich­ti­gen Erfah­rung. Die Bil­der wird man mit Sicher­heit im Kopf behal­ten, da auch die Opfer mehr­mals foto­gra­fiert wur­den, was in einer ange­glie­der­ten Foto­aus­stel­lung zu sehen ist. Wer sich hier­für inter­es­siert, fin­det hier­zu vie­le Inter­es­san­te Links auf Wiki­pe­dia!
Nicht zuletzt, um über die nahe grau­sa­me Ver­gan­gen­heit und damit über die Men­ta­li­tät der Men­schen Ein­blick zu gewin­nen und sich mit ihr auch aus­ein­an­der­set­zen zu kön­nen, war die­ser Tag sehr wich­tig und abso­lut unver­zicht­bar. Und so trau­rig es ist, so bil­den die­se Din­ge doch nur ein dunk­les Kapi­tel im gros­sen Buch der Grau­sam­kei­ten im Dasein des Men­schen und schei­nen genau­so zum Leben zu gehö­ren wie Frie­de, Freu­de und auch der Eier­ku­chen.
Letz­te­ren haben wir hier zwar noch nicht ent­deckt, aber Freu­de haben wir in der letz­ten Woche doch sehr oft ver­spürt. Den Hei­lig­mor­gen und Hei­lig­mit­tag ver­brach­ten wir auf einem Draht­esel im son­ni­gen Don Det, also noch in Laos, und fuh­ren die gesam­te Insel der Län­ge nach ab, um anschlie­ßend über eine aus Kolo­ni­al­zei­ten stam­men­de Brü­cke die benach­bar­te Insel Don Khon unsi­cher zu machen. Hier ver­weil­ten wir an einem mäch­ti­gen Was­ser­fall und genos­sen anschlie­ßend von der Veran­da eines Restau­rants aus das ange­neh­me Nach­mit­tags­licht, das sich immer mehr in die aus dem Was­ser ragen­den klei­nen grü­nen Inseln senk­te. Recht­zei­tig zum Son­nen­un­ter­gang waren wir dann wie­der auf unse­re Insel zurück­ge­kehrt und konn­ten einen gött­li­chen Son­nen­un­ter­gang in der Sun­set Bar direkt am Fluss bestau­nen. Hier tra­fen wir dann auch zum wie­der­hol­ten Male Lore­ne und Flo, ein Pär­chen aus Süd­frank­reich, das wir im Bus nach Pak­se ken­nen­ge­lernt hat­ten. Da die Stim­mung sehr gut war und immer mehr zu stei­gen schien (das Bier schmeck­te an die­sem Tage noch bes­ser als sonst ) beschlos­sen wir, den Weih­nachts­abend zusam­men zu ver­brin­gen. Bei Beer Lao, Früh­lings­rol­len, Cur­ry und ange­nehm war­men Tem­pe­ra­tu­ren ließ es sich gut ver­wei­len, auch wenn wir das ein oder ande­re Mal doch ger­ne ein Stück vom Weih­nachts-Bra­ten bei uns gehabt hät­ten und uns alle einen prall gedeck­ten Tisch vol­ler Raclette, Camem­bert und Schin­ken nicht nur ein­mal vor­stel­len muss­ten. Doch man kann ja bekannt­lich nicht alles haben und außer­dem konn­ten uns ja auch nicht so rich­tig über unse­re Situa­ti­on bekla­gen. Es war ein wirk­lich unter­halt­sa­mer und gelun­ge­ner Abend, der uns unser ers­tes Weih­nach­ten ohne das gewohn­te Umfeld doch mehr als erträg­lich mach­te. Wir waren wirk­lich glück­lich!
Am fol­gen­den Tag hieß es früh auf­ste­hen, denn der Bus Rich­tung Kam­bo­dscha, unse­rer nächs­ten gro­ßen Etap­pe und damit des nächs­ten sehn­lichst erwar­te­ten Aben­teu­ers, war­te­te auf uns und es woll­ten ja auch noch ein paar Men­schen beschenkt wer­den: So konn­ten sich die Grenz­be­am­ten an der erst seit drei Mona­ten geöff­ne­ten Gren­ze über eine reich­li­che Besche­rung freu­en (hier ein Dol­lar, da ein Dol­lar), aber wir sind ja nicht so…
Die offi­zi­el­le Grenz­stadt Stung Treng hat­te nicht viel zu bie­ten, sodass wir noch am glei­chen Tag ein Taxi in die Pro­vinz Rata­na­ki­ri beka­men (nach­dem der offen­sicht­lich ver­rück­te Besit­zer eines Restau­rants mehr­mals ver­such­te, uns wert­lo­se Gegen­stän­de wie zum Bei­spiel Wer­be­pro­spek­te zu hor­ren­den Prei­sen zu ver­kau­fen (Pro­spekt „Air Asia“ im Son­der­an­ge­bot für nur 2,5 Dol­lar!)).
Nach hals­bre­che­ri­scher Fahrt über so noch nicht gekann­te buckel­pis­ten­ar­ti­ge und unfass­bar stau­bi­ge Stra­ßen gelang­ten wir schließ­lich nach Ban Lung zu Mr. Leng, der für drei Tage unser lie­ber Hos­tel­pa­pa wur­de. Neben einem rie­si­gen Zim­mer mit Warm­was­ser und TV war­te­te dort ein ganz­tä­gi­ger Aus­flug in die Umge­bung auf uns. Rata­na­ki­ri ist die am wenigs­ten besie­del­te Pro­vinz in Kam­bo­dscha und besteht größ­ten­teils aus Wald und Wie­sen. Daher war es auch wenig ver­wun­der­lich, aber nicht min­der beein­dru­ckend, die end­lo­sen Kau­tschuk-Plan­ta­gen und Cas­hew­nut-Bäu­me sowie Zucker­rohr-Plan­ta­gen zu sehen. Eine tol­le Boots­fahrt von Voen Sai aus über den fast men­schen­lee­ren Fluss Tan­le San führ­te uns in ein klei­nes Dorf namens Kachon, wo ein beein­dru­cken­der Fried­hof besich­tigt wur­de, der sich über ein gro­ßes Gebiet im Wald aus­streckt und sich doch von unse­ren Gewohn­hei­ten stark unter­schei­det. Nach dem Tod wer­den die Men­schen in einem Holz­sarg ver­gra­ben und beer­digt, anschlie­ßend wird ein Holz­zaun oder eine klei­ne Stein­hüt­te um ihre Grä­ber gebaut und die Ange­hö­ri­gen brin­gen All­tags­ge­gen­stän­de des Toten zur Ruhe­stät­te. Es wird ein Büf­fel geop­fert und Holz­sta­tu­en an den Grä­bern mon­tiert, die die Ver­stor­be­nen dar­stel­len. Danach wird ein Baum zur Ori­en­tie­rung im dich­ten Wald gepflanzt und der Ange­hö­ri­ge wird nur ein­mal im Jahr besucht…sehr inter­es­sant! Nach dem Besuch von drei Min­der­hei­ten-Dör­fern ende­te der Tag vor dem Fern­se­her mit Fuß­ball!
Am nächs­ten Mor­gen lie­hen wir uns Fahr­rä­der und mach­ten eine Tour zu dem 700000 Jah­re alten Kra­ter­see Boeng Yeak Lom und danach zu einem klei­nen Was­ser­fall. Der Tag bescher­te uns eine Men­ge Spaß, Anstren­gung und vor allem eine rote Fär­bung von Haut, Haa­ren und Kla­mot­ten (der Staub auf Kam­bo­dschas Stra­ßen ist im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes atem­be­rau­bend). Mit den gesam­mel­ten Ein­drü­cken die­ser schö­nen Gegend ver­lie­ßen wir ruhi­gen Gewis­sens Ban Lung und kamen nach sechs Stun­den Fahrt in Kra­tie an. Hier besuch­ten wir eini­ge der mitt­ler­wei­le vom Aus­ster­ben bedroh­ten Irr­wa­dy-Süß­was­ser-Del­fi­ne, von denen es nur noch ca. 60 Exem­pla­re im Mekong gibt. An die­sem Tage bescher­ten sie uns gro­ße Freu­de, indem sie sich oft zeig­ten und uns bis zum Son­nen­un­ter­gang unter­hiel­ten. Nach­dem der Fah­rer von Eli­sa­beths Motor­rad-Taxi im Vor­bei­fah­ren noch schnell neben­her einen Gockel über den Hau­fen gefah­ren hat­te, kamen wir erschöpft zu Hau­se an und ver­brach­ten einen sehr schö­nen Abend mit Ste­fan, einem frus­trier­ten Arzt aus Flens­burg.
Nach schö­ner Fahrt durch eine sich nun stän­dig ver­än­dern­de Land­schaft (Flach­land so weit das Auge reicht, saf­tig grü­ne und end­los wei­te Reis­flä­chen, Pal­men und Zucker­rohr­plan­ta­gen) und einem klei­nen Ein­blick in die Ess­ge­wohn­hei­ten der Men­schen (hier wer­den gebra­te­ne Taran­teln und rie­si­ge Heu­schre­cken wie Chips geges­sen) kamen wir schließ­lich ges­tern Abend in Phnom Penh an und müs­sen nun gleich noch etwas essen!
Es geht uns gut und wir sind sehr gespannt, wie wir hier das neue Jahr begin­nen wer­den. Wir haben nun noch drei Wochen Zeit bis zu unse­rem Flug nach Bali und freu­en uns, in einem neu­en Land neue Leu­te und wei­ter­hin vie­le neue schö­ne Din­ge ken­nen zu ler­nen!

Kommt gut ins neue Jahr, wir mel­den uns bestimmt bald wie­der!

Lie­be Grü­ße!
Felix und Eli­sa­beth