Nach vier — mehr geistig als körperlich — anstrengenden Tagen nutzten wir, das heißt Kate, Lars Kristian und wir beide (Adrian war schon in die nächste Stadt weitergezogen) unsere zwei Tage in Uyuni mit geistiger Entlastung. Das heißt wir zogen gleich am ersten Abend in eine Kneipe und tankten mal wieder richtig auf. Mojito, Wein und Whiskey, dazu ein traumhaftes Lama-Steak mit Bier. Am nächsten Morgen dann ausgiebiges Frühstück auf dem schönen kleinen Markt. Früchte, Salteñas (mit Gemüse und Fleisch gefüllte Teigtaschen) und Hühnchen. Ein gemütlicher Tag ganz im Zeichen der Entspannung!
Am Abend dann die letzten Drinks zu viert, die beiden anderen wollten in der Nacht nach La Paz weiter. Dann wieder zu zweit. Zehn Minuten später wieder zu viert, der Bus war schon weg, der Kloß im Hals verschwand wieder, eine Nacht länger, wir waren uns wirklich ans Herz gewachsen.
Am nächsten Tag waren es dann jedoch wir, die gehen mussten. Wir hatten uns entschieden, nach Tupiza zurückzukehren, um dort drei Tage lang die wunderschöne Landschaft vom Rücken eines Pferdes aus zu genießen. Also versprachen wir uns gegenseitig, uns auf jedenfall wiederzusehen. In vier Jahren in Berlin! Ist doch immerhin mal ein Plan.
Wir mussten dann doch noch einen Tag lang ruhen, bevor es schließlich los ging: Unser 18 Jahre alter Guide war stets bemüht, unseren lauffaulen Gäulen Beine zu machen und wir versuchten bei blauem Himmel und brutaler Sonne, der Hitze mit unseren Hüten so gut wie möglich zu trotzen. Sechs Stunden pro Tag jagten wir unsere armen Pferde durch die Prärie, bekamen einen tollen Einblick in das ländliche Leben, durchritten kleine Dörfer, durchquerten Flüsse, bewunderten die von Wind und Wetter geschaffenen skurrilen Sandstein-Formen in tiefen Schluchten, fühlten uns in riesigen Flusstälern fern von jeglicher Menschenseele, begaben uns im Cañon del Condor auf die Suche nach den Herrschern der Lüfte und verschwanden dann in den meterhohen Graßlandschaften entlang des Flussbettes des Rio de Oro. Geschlafen haben wir beide Nächte in einen kleinen Dörfchen, beschützt von einer imposanten Felswand mit Blick auf die umliegenden Berge mit ihren beeinduckenden Farbkontrasten, bis wir schließlich mit wundgerittenen Hintern unsere vierbeinigen Begleiter doch noch dazu bewegen konnten, einen Zwischenspurt ins wohlvertraute Tupiza einzulegen. Eine schöne Abwechslung, einmal etwas fern von südamerikanischen Touristenschwärmen. Doch unseren geliebten Hinterteilen zuliebe nehmen wir von der Idee, uns Pferde zuzulegen und auf Busse zu verzichten, doch lieber Abstand.
Am gleichen Tag nahmen wir dann noch den Nachtbus in Richtung Potosí. Die Stadt war aufgrund ihres enormen Silberaufkommens zu Kolonialzeiten einst sowohl die reichste als auch größte Stadt des Kontinents und übertraf ihrer Zeit sogar Paris und London. Die wunderschöne Altstadt, zugleich Stadtzentrum, erinnert mit ihren unregelmäßigen engen Kopfsteinpflaster-Straßenzügen und alten Laternen eher an einen Ort in Südeuropa. Heutzutage hat die Stadt den Titel der „höchstgelegenen Stadt der Welt“ inne (4200 Meter) und ist eine der ärmsten Städte in Südamerika. Wir kamen um 5 Uhr morgens dort an, erlebten den Sonnenaufgang umherirrend auf der Suche nach einem Hostel und legten uns dann zunächst mal aufs Ohr. Doch viel Zeit blieb nicht, wollten wir am gleichen Tag noch die angestrebte Tour in die Silberminen des die Stadt überragenden Cerro Rico machen. Dieser Berg beherbergt etwa 300 Minen, in denen noch heute etwa 15000 Arbeiter unter menschenunwürdigen Verhältnissen arbeiten. Während unseres vierstündigen Aufenthaltes in einer der größten Minen vermittelte uns unser Guide, ein noch aktiver „Minero“, einen kleinen Eindruck, was es bedeutet, hier zu arbeiten. Noch heute kommt statistisch ein Minenarbeiter pro Tag ums Leben, die meisten davon aufgrund von chemischen Vergiftungen und Staublungen, andere durch Unfälle bei Sprengungen. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen, die unter Tage arbeiten, liegt bei 45 Jahren. Durchschnittlich zehn Jahre nach Eintritt in die Mine ist von einer tödlichen Erkrankung des Arbeiters zu rechnen, nur wenige haben genug Geld, um sich mit den nötigen Atemschutzgeräten auszurüsten. Gearbeitet wird in Gruppen, meist Familien, von bis zu 30 Personen. So ist es üblich, dass Familienclans untereinander arbeiten. Dabei hat jede Gruppe ihren eigenen Arbeitsbereich, in dem sie nach Mineralien sucht (heutzutage gibt es kein reines Silber mehr). Die Familien arbeiten auf eigene Faust, also nicht direkt für einen Arbeitgeber, und verkaufen ihren Ertrag anschließend an große Firmen. Sie entscheiden sich also freiwillig dazu, untertage zu arbeiten, wobei sowohl Tradition aber vor allen Dingen die Ermangelung an alternativen Arbeitsplätzen eine große Rolle spielen. Noch heute arbeiten hunderte von Kindern zwischen zehn und 14 Jahren mit in den Minen. Auf unserem Rundweg treffen wir immer wieder Gruppen von Arbeitern, die unvorstellbar schwere Wagons voller Gestein auf brüchigen Gleisen durch die engen Gänge ziehen, zwei vorne mit schweren Drahtseilen über ihren Schultern, zwei dahinter. Immer wieder verteilen wir Geschenke. Softdrinks, Coca-Blätter, Dynamit. Immer wieder besteht die Möglichkeit, mit Arbeitern zu sprechen. Ein Mann, 51 Jahre alt, geht seit 35 Jahren 7 Tage die Woche morgens um 6 Uhr in die Mine, arbeitet bis abends 18 Uhr. Man kann sich also vorstellen, wie oft dieser Mensch in seinem Leben Tageslicht gesehen hat. Fünf Söhne habe er, die zur gleichen Zeit die Wagen ziehen. Unvorstellbar. Für uns war es eine ungeheure Anstrengung, uns in dieser Höhe durch die teilweise nur 50 Zentimeter hohen und ebenso breiten Gänge zu kriechen, Belüftung gibt es hier nicht. Es ist heiß und stickig. Wenn gesprengt wird, sieht man dazu nichts mehr. Die verschiedenen Ebenen sind teilweise nur durch Seile und Holzbretter zu erreichen, enge Löcher, die senkrecht nach unten führen. Wir müssen immer wieder Pausen einlegen, zu anstrengend ist alleine das umherlaufen, das kauen von Coca-Blättern hilft ein wenig. Im „Salon Verde“, dem „Grünen Salon“, wie die Löcher genannt werden, wo die Arbeiter pausieren, stehen jede Menge leere Schnapsflaschen herum, nur zu gut verständlich.
Für uns war diese kurze Tour eine interessante und zugleich sehr bedrückende Erfahrung. Es ist unvorstellbar, wie Menschen in eine Situation getrieben werden können, in der sie nur durch den Einsatz ihrer Gesundheit überleben können. Und das auch nur sehr beschränkte Zeit. Umso beindruckender war für uns die Art der Menschen, mit dieser Tatsache umzugehen. Es herrscht ein ungeheurer Zusammenhalt zwischen den Kumpeln, es wird pausenlos gescherzt. Humor, wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, diese Arbeit zu ertragen. Arbeit, die immerhin mehr als den Mindestlohn von 50 Dollar pro Monat einbringt: Etwa 150 Dollar verdienen die Menschen, eine geringe Entschädigung, bedenkt man, dass sie damit mit ihrem Leben bezahlen…
So waren wir dann auch wieder froh, Tageslicht zu sehen, und machten uns auf den Weg zurück in die Stadt. Wie sich herausstellte, sollte unser Zimmer im Hostel an diesem Tage nur als „Stundenhotel“ dienen, denn noch am gleichen Abend sollten wir uns in den Bus in die Hauptstadt des Landes setzen, nach…
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