Wir können unser Glück selbst noch kaum fassen, aber es ist tatsächlich wahr geworden: Unsere lange Reise in den Süden des Kontinents hat mit der Wanderung durch den Nationalpark Torres del Paine ihren absoluten Höhepunkt gefunden! So war nun mit gütiger Hilfe unseres Freundes Petrus unser zweiter Versuch von Erfolg gekrönt, nachdem noch einige Tage zuvor bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 140 Kilometer pro Stunde an Wandern nicht zu denken war. Unter Anbetracht der Tatsache, dass die Saison hier Ende März endet und von da an die Busse nicht mehr regelmäßig fahren, waren wir nun so oder so dazu gezwungen, uns ein Herz zu fassen und die Ratschläge sämtlicher selbsternannter Wetterexperten (und von denen gibt es hier mehr als genug) zu missachten.
Der Tag vor DEM Tag fiel demnach auch der Planung des Treks zum Opfer. Nachdem uns Bill, ein US-Amerikaner, bei seinem alltäglichen „Informationstreffen“ in seinem Hostel „Erratic Rock“ die seiner Meinung nach für einen erfolgreichen Trip essentiellen Dinge nahegelegt hatte, war für uns klar: Wir müssen noch etwas tun!
Es war klar, dass unser in Neuseeland im Second-Hand-Shop erstandenes Zelt gegen die dort vorherrschenden Winde nicht den Hauch einer Überlebenschance haben würde und wir mit unserer Kleidung wahrscheinlich sogar im Mannheimer Winter erfrieren würden. Also bekam Elisabeth ein neues Fließ und eine Mütze, während Felix eine Hose bekam, die vorwiegend gegen eventuellen Starkregen schützen sollte. Ein erstklassiges Zelt, Isomatten, einen Gaskocher mit Topf sowie eine Regenhose für Elli konnten wir mieten, sodass wir also zumindest notdürftig ausgerüstet waren. Ein warmer Schlafsack musste genügen und auf lange Unterwäsche sowie Handschuhe mussten wir verzichten. Man kann ja nicht alles haben! Bei geplanten fünf Tagen Aufenthalt zählt jedes Gramm Gewicht und es will gut überlegt sein, was man braucht oder eben eher nicht. So packten wir unsere Rucksäcke nach dem Motto „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“ und lernten aus unseren Fehlern, die wir bei unserem Trek im Abel Tasman National Park in Neuseeland gemacht hatten (damals hatten wir vollkommen hirnrissig Gläser voller getrockneter Tomaten und Oliven dabei und schleppten uns an unseren Konservendosen einen Buckel). Jetzt diente ein Sack voll Haferflocken mit Zucker, Honig und Milchpulver als Frühstück, ein Block Käse, eine Wurst und eine Stange Weißbrot genügten als Zwischenmahlzeit und am Abend gab es Instant-Kartoffelbrei, Drei-Minuten-Nudeln (wobei das Wasser zusammen mit Maggi-Würfeln eine wärmende Brühe ergab) mit Tomatenmark, Parmesan und Thunfisch. Der restliche Kalorien-Tagesbedarf wurde durch Schokolade, Traubenzucker, Nüsse und eine Vielzahl verschiedener Riegel gedeckt. Tee und Kaffee. Das war’s. Gekocht wurde mit glasklarem eiskalten Wasser aus einem der unzähligen Gletscherbäche und –seen. Praktisch, da man sich auf diese Weise auch das mitführen von Getränken ersparen kann. Eine Plastikflasche genügt, alle zehn Minuten kann nachgetankt werden.
Nachdem wir dann letzendlich doch erst auf den allerletzten Drücker fertig gepackt hatten, ging es am nächsten Morgen, Freitag den 23. März, endlich los. Nach drei Stunden Fahrt kamen wir dann bei „Laguna Amarga“ an, wo man den Eintritt bezahlt und sich unter Berücksichtigung der aktuellen Wetterbedingungen entscheidet, wo man die Tour startet. Wir entschieden uns wie die absolute Mehrheit aller Wandersleute dazu, das klassische „W“ zu laufen, einen Weg, der entlang der Höhepunkte führt und dementsprechend auch sehr beliebt ist (es gibt nur kurze Abschnitte, in denen man unterwegs ist, ohne alle fünf Minuten „Ola“ zu sagen).
Zu diesem Zeitpunkt schien das Wetter geeignet, um dem Weg von Ost nach West zu laufen, also mit dem schwereren und spektakuläreren Teil der Strecke zu beginnen. Nun ging es also wirklich los! Torres del Paine, der Hammer!
Bei strahlendem Sonnenschein und guter Sicht folgten wir den sich tief in den Boden einfressenden Pfaden von unserem Startpunkt, der „Hosteria las Torres“ zu unserem drei Stunden entfernten Ziel, dem kostenlosen Campingplatz „Campamento Torres“, der Basisstation für den Aufstieg zum klassischen Aussichtspunkt. Es dauerte seine Zeit, bis wir wieder in unseren Rhythmus kamen, ging es doch teilweise ziemlich steil bergauf. Doch wir kamen voran, Schritt für Schritt. Auf halbem Wege dann zeigte uns das Wetter, wie es sein kann, wenn es launisch ist: Wind, oder besser gesagt: Sturm! Was man eigentlich überall lesen kann, wurde uns von vielen Menschen im Voraus noch einmal bestätigt: Die Winde können einem das Leben zur Hölle machen. Uns wurde der Spaß jedoch so schnell noch nicht genommen, wir klammerten uns an einen Felsen und warteten einen kurzen Moment ab. Es schien nur ein heftiger Durchzug durchs Tal gewesen zu sein, kurz darauf erreichten wir unsere Zwischenstation „Los Chilenos“. Eine weitere Stunde bei bestem Wetter durch den schützenden Wald mit wunderschönen Ausblicken auf die umliegende Landschaft: Unendliche Weiten, Natur pur, kein Haus, kein Auto, dafür türkisfarbene Seen, schneebedeckte Gipfel, monströse Berggetten, Gletscher, tiefe Täler, rauschende Gletscherbäche, Wasserfälle und ein sich langsam orange-rot färbender Wald. Einfach wahnsinnig schön!
Ein schönes Gefühl, wieder unterwegs zu sein, sich zu verausgaben und den ganzen Tag an der frischen Luft zu sein. Der Aufstieg zu den „Torres“, den drei majestätischen Granit-Türmen, die dem Park seinen Namen verleihen, DEM Highlight, blieb uns an diesem Tage allerdings leider verwährt. Wir fielen den sich so resend schnell verändernden Wetterverhältnissen zum Opfer und hielten einen Aufstieg bei Regen und Nebel für sinnlos. Also Plan B: Schlafen — auch schön.
Uns stand schließlich ein harter Tag bevor. Wollten wir unseren Fünf-Tages-Plan einhalten, mussten wir uns ganz schön spurten. Also machten wir uns um 6 Uhr morgens mit unseren Taschenlampen bewaffnet auf den Weg. Vor uns lag ein riesiges Geröllfeld, ein schlecht markierter Weg über die Felsbrocken und eine Stunde beschwerlicher Aufstieg. Mit einigen Umwegen meisterten wir aber auch diese Hürde und hatten es schließlich geschafft: Vor uns bäumten sich die „Türme“ auf, noch etwas im Morgengrauen versteckt. Und kurz darauf stellte sich heraus, dass sich die morgendliche Schwerstarbeit gelohnt hatte. Klare Sicht auf die verschneiten Kolosse, die senkrecht aus dem vorgelagerten türkis-grün schimmernden See herauswachsen. Zwar blieb uns ein spektakulärer Sonnenaufgang verwährt, doch hin und wieder konnten einige Sonnenstrahlen die Wolkendecke durchbrechen, sodass wir das Massiv sogar teilweise angestrahlt mit einigen Fetzen blauen Himmels bewundern konnten!
Als wir uns dann auf den Rückweg machten, konnten wir beobachten, wie innerhalb kürzester Zeit dichte Nebelschwaden die Tower umhüllten und den nachfolgenden tapferen Schaulustigen bei einsetzendem Regen keine Freude mehr bereiten konnten. Wir hatten das Glück des Tüchtigen also ein weiteres mal auf unserer Seite und irgendwie fühlte es sich schon gut an, auf diese Art und Weise für das lange Warten belohnt zu werden.
Doch trotz dieser Genugtuung mussten wir der Realität ins Auge blicken. Und diese sagte uns, dass unser Tag jetzt erst richtig begann. Das Zelt war zusammengepackt, unser Haferbrei verschlungen und die Uhr zeigte halb zehn. Das Ziel für diesen Tag hieß „Campamento Italiano“ (wir wollten uns ein weiteres Mal die vollkommen überzogenen sieben Dollar pro Person auf einem Campingplatz sparen und versuchten so oft wie möglich, einen der kostenlosen „Conaf“-Plätze aufzusuchen) und wir konnten davon ausgehen, dass es ein langer Tag werden würde. Es half jedoch alles nichts, wir mussten durch. Also machten wir uns zunächst einmal auf den neun Kilometer langen Rückweg zur Hosteria, unserem Ausgangspunkt, um von da aus weitere elf Kilometer zur „Albergue Los Cuernos“ zurückzulegen. Die Sonne zeigte sich des öfteren und der viel gefürchtete Wind blieb aus. Perfekte Bedingungen und ein bis dahin perfekter Tag, grandiose Sicht auf das Hinterland, eine niemals enden wollende Steppenlandschaft, bewohnt lediglich von unzähligen Lamas und Nandus. Dann jedoch kamen wir an eine Weggabelung und uns wurde klar, dass wir eine vorhandene Abkürzung verpasst hatten, die uns im Endeffekt ganze zwei Stunden erspart hätte. Scheiß Wanderkarte. Hätte, wenn und aber…wir waren den Umweg gelaufen und es musste weitergehen, zumal wir ja nicht irgendwo herumdümpelten und vor lauter Langeweile nicht wüssten, was wir machen sollten. Im Gegenteil: Die Strecke führte entlang des „Lago Nordenskjoeld“, der vollkommen unwirklich milchig türkisfarben leuchtete, sobald er von der Sonne angestrahlt wurde. Der atemberaubende Blick auf die blendend weißen Gipfel am Horizont. Und dann zeigte sich sogar der „Herrscher der Lüfte“: Ein Condor und seine Condorin, also mehrere Exemplare der Gattung Condor (wir bitten unsere Umwissenheit zu entschuldigen, aber wie lautet der Plural? Condors? Condori? Condore?). Ein toller Anblick, leider hatten wir keine Ferngläser dabei. Dann weiter Richtung Zeltplatz, mittlerweile war es schon Nachmittag, die Karte sagte uns: Noch sechs Kilometer. Plötzlich aus dem Nichts ein riesiger Gletscher, „Glaciar del Frances“, umhüllt von Wolken, ihm gegenüberliegend „Los Cuernos“, ein gelbes Granit-Felsmassiv mit schwarzer Mütze. Dort blauer Himmel. Mitlerweile wollten die Beine aber nicht mehr so recht und wir wägten bereits hinter jeder Biegung unser Ziel. Aber immer kam noch ein Anstieg, noch eine Brücke, noch ein Bach…puh! Keine Zeit für Späße (Felix’ Galgenhumor kam zu dieser Stunde nicht mehr wirklich gut an), einfach laufen, laufen, laufen.
Letztendlich war es dann 19 Uhr, 13 Stunden waren vergangen, lange Pausen hatten wir nicht gemacht und für uns Anfänger waren die zurückgelegten 28 (!) Kilometer über Stock und Stein doch eine mehr als achtbare Leistung. Viel weiter hätten uns unsere Beine an diesem Tage wohl auch nicht mehr getragen. Dementsprechend gönnten wir uns dann auch einen langen Erholungsschlaf. Mit der Gewissheit, dass es nie wieder so anstrengend werden würde und wir sowohl den schwierigsten Teil der Strecke als auch den längsten Tag hinter uns gebracht hatten, ließ es sich um einiges leichter schlafen. Der darauffolgende dritte Tag begann dann somit verhältnismäßig spät und die Karte zeigte, dass wir heute lediglich das „Valle del Frances“ durchqueren würden, hoch zu einem Aussichtspunkt, dann wieder zurück und eine weitere Nacht auf dem selben Campingplatz. Der Weg führte uns größtenteils durch den Wald entlang eines reißenden Stromes, der vom Gletscher herabfloss und von überall zu sehen und zu hören war. An diesem Tage wollte die Wolkendecke nicht so recht aufreißen, sodass uns die ein oder andere schöne Aussicht nicht vergönnt war und die meisten Gipfel von hartnäckigem Nebel bedeckt blieben. Wir mussten beide weinen. Nicht.
Es regnete nicht und dass unter fünf Tagen auch ein nicht so guter dabei sein würde, davon war eigentlich von vorn herein auszugehen. Also genossen wir die an dieser Stelle besonders intensiven Herbstfarben und konnten auch gut damit leben, „nur“ 15 Kilometer laufen zu müssen. Fünf Stunden später landeten wir wieder sicher in unserem Zelt und gönnten uns zur Feier des Tages anstelle der üblichen zwei ausnahmsweise drei Packungen Maggi-Nudeln. Dann rief das Bett und einige Stunden später der Wecker.
Der vierte Tag. Das letzte Stück, dann war das „W“ gelaufen. Es ging über „Paine Grande“ zum „Glaciar Grey“, einem Monstrum von Gletscher, wo wir unser Zelt ein letztes Mal aufschlagen sollten. 18 Kilometer, bis auf eine Ausnahme ein leichter Weg, doch die Schultern machten sich langsam bemerkbar. Wiederum zu Beginn des Tages gutes Wetter, wolkenlose Sicht auf den „Glaciar del Frances“, Windstille, obwohl die Strecke um den Lago Peohé normalerweise als sehr windig gilt. Angenehm. Noch eine letzte Hammer-Steigung, dann fantastische Sicht auf den überdimensionalen Gletscher, dessen Ende nicht auszumachen ist und sich bis zum Horizont in alle Richtungen erstreckt, durchbrochen von Felsinseln und flankiert von in der Wolkendecke verschwindenden Bergen Der vorgelagerte Gletschersee „Lago Grey“ voll von riesigen tiefblauen Eisschollen, die unaufhörlich von diesem „Eismeer“ herabbrechen und vom Wind in alle Himmelsrichtungen auf dem See verteilt werden. Ein Anblick, von dem man sich kaum trennen möchte, zu unglaublich wirkt die Szenerie.
Der letzte Abend also auf einem Platz mit Toiletten, für den Heißhunger gab es ein kleines Kiosk. Frisches eiskaltes Wasser direkt aus dem See von einer der riesigen Schollen, die unmittelbar vor unseren Augen schmelzen. Die letzten Vorräte wurden dann auch verbraten, ein letztes Mal Brühe, Nudeln mit Tomatensoße, Parmesan, Thunfisch und Kartoffelbrei. Ein wahres Festmahl, das letzte Gas investierten wir in Tee, welcher Felix die ganze Nacht lang zum Urinieren vors Zelt trieb, und genossen gute deutsche Vollmilchschokolade. Ein gemütlicher letzter Abend.
Am letzten Tag dann mussten wir noch einmal früh raus, unser Boot fuhr um 12.30 Uhr. Also nahmen wir uns genug Zeit, die geschundenen Körper wollten ja nicht gehetzt werden. Rechtzeitig zum Ende unseres tollen Trips setzten dann auch die besagten Winde ein und fegten uns nicht nur in zweieinhalb Stunden zum Ziel sondern das ein oder andere mal auch im wahrsten Sinne des Wortes vom Pfad, was uns aber nicht weiter tangierte, hatten wir doch die Gewissheit, ein wahnsinniges Glück mit dem Wetter gehabt zu haben. Fünf wunderschöne Tage nahmen mit einer Schifffahrt vorbei an der Landschaft, die uns so sehr beeindruckt hatte, ein rundes Ende und geben uns das Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Wir werden uns nun auf den Weg zurück in den Norden machen. Das nächste große Ziel heißt Bolivien, auf unserem Weg werden wir allerdings noch den ein oder anderen Zwischenstopp in Argentinien machen. Zunächst einmal geht es zur „Peninsula Valdes“, eine Halbinsel, die für ihren Tierreichtum bekannt ist. Mal schauen, was dort auf uns wartet — man darf gespannt sein!
Wir grüßen euch alle ganz lieb, drücken euch und wünschen frohe Ostern!!!
Genießt den Frühling!
Eure zwei Osterhasen
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